Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Pröpstin Kallies bei #liveline: Eine Predigt zur ForuM-Studie

Pröpstin Petra Kallies predigte bei #liveline zur ForuM-Studie. Copyright: Guido Kollmeier

Lübeck. Die Ergebnisse der ForuM-Studie zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie haben das Vertrauen vieler Menschen in ihre Kirche erschüttert, zumindest aber ins Wanken gebracht. Im digitalen Gottesdienst #liveline hat sich Lübecks Pröpstin Petra Kallies mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Predigt im Wortlaut. 

Haltung zeigen- der Beitrag im Wortlaut

Hier im Südosten Schleswig-Holsteins ist die Landschaft von den Eiszeiten geprägt. „Endmoränenlandschaft“ – dieses Wort lernen bei uns schon Grundschulkinder. Die Gletscher führten jede Menge Gestein mit sich, das liegenblieb, als das Eis schmolz. Aus den Äckern tauchen immer noch riesige Findlinge auf – und auch am Meer.  Jedes Jahr bei Sturm aus Nord-Ost bröckelt die sandige Steilküste weiter ab. Unten am Stand liegen große Steine. Unverrückbar, auch bei Sturm, liegen sie dort. Seit Jahrzehnten, Jahrhunderten, Jahrtausenden. Wenn die Sonne lange draufscheint, erwärmt sich der Stein und es ist schön, darauf zu sitzen und aufs Meer zu schauen. Doch aufgepasst! Anders als der weiche Sand passt der Fels sich nicht meinen Wünschen an. Der Stein ist hart, unnachgiebig. Aber eben auch verlässlich und belastbar.

Für ein Ostsee-Küstenkind wie mich war das Gleichnis Jesu vom Haus auf Sand und auf Fels immer total einfach zu verstehen. Wer an Gott glaubt, hat ein starkes Fundament fürs Leben. Aber genauso habe ich verstanden: wie der Fels ist auch der Glaube nicht immer bequem. In stürmischen Zeiten des Lebens kann es schon auch mal kalt werden und kantig.

Was trägt Dich, was trägt uns in unsicheren Zeiten?
Woran orientieren wir uns?

Wir leben gerade in unsicheren Zeiten, in denen vermeintlich Selbstverständliches neu formuliert werden muss.

Nach der Terrorherrschaft der Nazis haben wir gelernt, wachsam zu sein und die alten Hassparolen auch in neuer Verpackung zu erkennen. Dachte ich. 

Wir lassen es nicht zu, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit noch einmal gesellschaftsfähig werden. Wir sind uns doch alle einig, dass die Würde jedes einzelnen Menschenkinds unantastbar ist. Dachte ich. 

Nun erkennen wir, dass das leider nicht mehr allgemeiner Konsens ist. Wie gut, dass so viele Menschen für Demokratie und Menschenrechte demonstrieren! Denn die Demokratie ist ein tragfähiges Fundament für unser Zusammenleben – weil es auch die freie Ausübung der Religion garantiert. 

An wem orientieren wir uns? 
An Jesus Christus, der uns Gottes Liebe zu allen Menschen gelehrt hat.
An Jesus Christus, dem unerschrockenen Streiter für die Schwachen.
An Jesus Christus, dem Sohn einer jüdischen Mutter.

Was gibt uns Halt, wenn das, worauf wir – Du und ich - vertraut haben, sich als unzuverlässig erweist?
Was gibt uns Halt, wenn Du und ich uns getäuscht haben, wenn wir enttäuscht werden?
Was, wenn Du und ich uns in KIRCHE getäuscht haben?

Kein sicherer Ort für alle

Seit die ForuM-Studie zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie veröffentlicht wurde, haben mir viele Menschen erzählt, wie sehr sie die Ergebnisse verunsichern. Sie sagen: „Kirche war für mich immer so etwas wie Heimat. Ich treffe da Gleichgesinnte, erlebe so viele tolle Projekte, wir feiern schöne Gottesdienste - und ich habe oft Trost im Glauben gefunden, als es mir schlecht ging. Und jetzt frage ich mich ständig: „Habe ich etwas übersehen? Hätte ich auch in meiner Gemeinde genauer hinsehen müssen?““

Leider haben nicht alle Mädchen und Jungen, Frauen und Männer und queere Menschen KIRCHE als einen sicheren Ort erlebt. Und leider gibt es auch heute in der Kirche Orte, in denen sexualisierte Gewalt geschieht. 

Ich schäme mich sehr dafür und bedauere das Leid, das Betroffene erlitten haben, zutiefst. 

Ja, wir haben vielerorts nicht genau genug hingeschaut. Verantwortliche haben Betroffenen nicht geglaubt. Noch immer wird in vielen Gemeinden nicht genug über Gefährdungspotentiale gesprochen und werden Schutzkonzepte erstellt, veröffentlicht und nach einiger Zeit ausgewertet.

Viele kirchlich Engagierte erleben gerade, dass der Fels, auf dem sie eigentlich gern stehen, brüchig ist. Nicht der Fels des Glaubens. Wohl aber die Vorstellung, dass Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden irgendwie besser sei. Dass es unter Christinen und Christen respektvoller und achtsamer zuginge.

Ich sage nicht, dass Menschen in den Gemeinden nicht respektvoll und achtsam miteinander umgehen. Das tun sie an den allermeisten Orten, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber wir können niemals ganz ausschließen, dass einzelne Täter (und manchmal auch Täterinnen) dieses Grundvertrauen missbrauchen, ausnutzen und anderen schlimmen Schaden zufügen.

Unser Glaube, davon bin ich überzeugt, ist ein tragfähiges Fundament für unser Leben. 
Wir beten mit Psalm 18: Der Herr ist mein Fels, meine Burg, mein Retter. Mein Gott ist die Festung, auf die ich vertraue, mein Schild, meine Schutzmacht und meine Zuflucht.

Anders als der Sand ist der Fels unnachgiebig. Er ist hart und manchmal auch kalt. Gottes Gebote sind eindeutig, so wie Jesus es uns gelehrt hat.

Jesus Christus, der kompromisslosen Streiter für die Schwachen.
Jesus Christus, der sich dem Bösen in den Weg gestellt hat.
An ihm allein sollen wir uns orientieren. 

Alles tun, um Tätern keinen Raum zu bieten

Es darf nicht darum gehen, das vermeintliche Ansehen der Kirche zu schützen – es geht darum, Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, zuzuhören und alles dafür zu tun, dass sie zu ihrem Recht kommen.

Es geht darum, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Tätern keinen Raum mehr zu bieten.

In erster Linie ist das Aufgabe derer, denen Verantwortung übertragen wurde: Pastorinnen und Pfarrern, Kirchengemeinderäten, Pröpstinnen und Superintendenten, Bischöfinnen und Bischöfen, Hauptamtlichen Mitarbeitenden. 

Als Gemeinschaft der Glaubenden sind aber auch alle aufgerufen, mit hinzuschauen und zu melden, wenn Übergriffe passiert sind, oder wenn man es vermutet.

Das Vertrauen vieler Menschen in die Kirche ist durch die Ergebnisse der Studie, wenn nicht erschüttert, aber doch ins Wanken geraten. Auch wenn es schmerzhaft ist, bin ich froh über die Studie. Es muss sich etwas ändern – und es wird sich etwas ändern, wenn wir uns endlich auf den Weg machen.

Es muss - es wird sich etwas ändern

Und bitte vergesst eins nicht: Gott selbst bleibt immer der Fels, der unserem Leben Halt gibt, der Dich und mich trägt in allen Stürmen und Unsicherheiten des Lebens. Noch einmal Psalm 18:

Ja, du selbst, Herr, bringst Licht in mein Leben.
Mein Gott, du machst alles Dunkle um mich hell.
Ja, mit dir kann ich Festungen erstürmen.
Mit meinem Gott springe ich über Mauern.
So ist Gott: Sein Weg ist vollkommen!
Das Wort des Herrn ist klar und rein.

Amen.

Hier gibt es den #liveline-Gottesdienst vom 4. Febrauar 2024 noch einmal in voller Länge zum Nachschauen. 

Ansprechstellen bei sexualisierter Gewalt

Eine Übersicht über Ansprechstellen, wenn Sie sexuelle Übergriffe erlebt oder davon erfahren haben:

UNA (Unabhängige und konfessionsfreie Ansprechstelle für Menschen, die in der Nordkirche sexuelle Übergriffe erlebt oder davon erfahren haben) 
Telefon: 0800/ 022 00 99  (anonym und kostenfrei) 

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch
0800/ 22 55 530 (kostenfrei & anonym)

Hilfeportal Sexueller Missbrauch
www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-finde

Zentrale Anlaufstelle .help
Auf Wunsch werden Sie an kirchliche und diakonische Ansprechstellen vermittelt oder erhalten Informationen über alternative und unabhängige Beratungsangebote.
Telefon: 0800/5040112 (kostenfrei und anonym)                  

Meldebeauftragter für den Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
Malte Lücke
Telefon: 0176/ 19 79 02 85