Diskussion: Gehen unsere Bauern ordentlich mit den Tieren um? 09.11.2012

Die Gemeinde Breitenfelde in Herzogtum-Lauenburg begrüßte fünf Wochen nach dem Landeserntedankfest die Gäste der Begegnung und Diskussionsrunde „Landwirtschaft und Kirche“.

Die Gemeinde Breitenfelde in Herzogtum-Lauenburg begrüßte fünf Wochen nach dem Landeserntedankfest die Gäste der Begegnung und Diskussionsrunde „Landwirtschaft und Kirche“ – eine jährlich stattfindende Veranstaltung unter wechselnder Federführung der Nordkirche und des Bauernverbandes Schleswig-Holstein.


Das Thema am 9. November im sehr gut besuchten Siemers Gasthof lautete: „Gehen unsere Bauern ordentlich mit den Tieren um“? Am Beispiel der Schweinehaltung wurden das Tierwohl, die Tierhaltung und der Tierschutz unter die Lupe genommen. Gastredner waren Prof. Dr. Urban Hellmuth von der Fachhochschule Kiel, Fachbereich Agrarwirtschaft, und Stefan Johnigk, Geschäftsführer des Kieler Vereins „ProVieh“.


Vor den Reden und der Diskussionsrunde hielt Bischofsbevollmächtigte Gothart Magaard die Andacht in der Kirche Breitenfelde. Er verwies auf die Geschichtsträchtigkeit des 9. Novembers: „Die Reichspogromnacht 1938 hat gezeigt, wozu Menschen fähig sind, die der blinde Hass treibt. Der 9. November 1989, der Tag, an dem die Mauer fiel, hat gezeigt, wozu Menschen fähig sind, die an den Frieden glauben und die ihr Rückgrat gegen alle Widerstände nicht verbiegen lassen“. Folgerichtig wurde am Abend des 9. Novembers die bundesweite Friedensdekade „Mutig für Menschenwürde“ eröffnet, die bis zum 21. November mit Gottesdiensten, Gesprächen und Aktionen begangen wird. „Mutig für Menschenwürde“ berühre auch die Frage „Gehen unsere Bauern ordentlich mit den Tieren um?“, da die Achtung der Menschenwürde auch die Achtung der Nutztiere und ihre Haltung, Fütterung und medizinische Versorgung impliziere. „Aber die Frage der Würde reicht noch weiter: Als Christinnen und Christen gehen wir von der Vorannahme aus, dass Gott der Schöpfer dieser Welt ist, und nicht wir selbst. Gemeinsam mit der gesamten Schöpfung verdanken wir uns Gott. Der Begriff ‚Mitgeschöpflichkeit’ ist darum geeignet, das Mensch-Tier-Verhältnis aus christlicher Perspektive zu charakterisieren. Auch die Tiere haben Teil an der geschöpflichen Würde, sie weißen in ihrem bloßen Sein hin auf die Wirksamkeit des Schöpfers“. Schon Christian Fürchtegott Gellerts habe im 18. Jahrhundert, lange vor der modernen Ethik der Tierhaltung, in einem Liedvers gesagt: „Dich predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand am Meere. Bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt meinem Schöpfer Ehre! Mich, ruft der Baum in seiner Pracht, mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht, bringt unserm Schöpfer Ehre!“ Der geringste Wurm habe Würde – „und darum ist Ehrfurcht vor dem Leben angezeigt“, so Magaard. Tiere seien keine Sachen, mit denen Menschen machen können, was sie wollen. Die Bibel erzähle von der Schönheit der Tiere und auch von ihrer Grausamkeit. Sie beschreibe, dass Tiere und Menschen Feinde und Gefährten seien, sie wisse, dass Nutztiere eine gute Gabe sind und rufe nicht zum Fleischverzicht auf. „Unser gemeinsamer Glaube an Gott, dem Schöpfer allen Lebens, ermutigt uns, uns nicht mit den Gegebenheiten einfach anzufinden – weder für uns Menschen noch für unseren Umgang mit Tieren und mutig dafür einzutreten, dass die Würde aller Kreaturen, und damit wesentlich unsere eigene, gewahrt wird“, schließt der Bischofsbevollmächtigte.


Für ein ordentliches Umgehen mit Nutztieren setzten sich auch Urban Hellmuth und Stefan Johnigk ein. Hellmuth befasste sich in seinem Vortrag mit der Fragen „Was ist ‚ordentlich’?“ und den Begriffen Kosten, Ökonomik, Nachhaltigkeit, Nutztierverhaltensverordnung/Tierwohl, Beziehungsgeflecht Tier und (künstliche) Umwelt und zeigte Ansätze der aktuellen Forschung auf. Anhand einer dreieckigen Pyramide erklärte der Kieler Professor die Bedeutung von Ökologie, Ökonomie und Soziales der Nachhaltigkeit der Tierhaltung. Das  „Tierwohl“, also Tiergesundheit, Tiergerechtheit und das Wohlbefinden des Tieres, seien von großer Bedeutung.


Um dieses Tierwohl zu erreichen – in kleinen wie in großen Landwirtschaftsbetrieben – müsse aber auch der Verbraucher und vor allem der Lebensmitteleinzelhandel mit ins Boot geholt werden, sagte Stefan Johnigk. „Es gibt Leute, die beschweren sich über tiergerechte Schweinehaltung in ihrer Nähe – da die Tiere draußen umherlaufen und die Leute sie sehen, riechen und hören müssen. Sie wollen aber Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren essen. Hier muss ein Umdenken passieren.“ Ein Umdenken sei besonders auch im Einkaufsverhalten der Verbraucher nötig: „Der Mensch an sich ist bequem und kauft das, was für ihn am einfachsten ist. So wollen 20 Prozent der Verbraucher verantwortungsbewusst nachhaltiges Fleisch kaufen, tatsächlich tun es im Laden aber nur zwei bis drei Prozent. Wenn billiges Fleisch neben teurem Bio-Fleisch im Supermarkt liegt, wird eben das billige genommen“, fährt Johnigk fort. Hier seien die Supermärkte aufgefordert, kein Billigfleisch aus Massentierhaltung mehr anzubieten. „Ein Huhn in der Massenhaltung nimmt pro Tag 60 Gramm und ist nach nur 35 Tagen schlachtreif. Ist das wesensgerecht?“ Tiere, alle Tiere, in Massentierhaltungen hätten Bewegungsprobleme, weil sie schnell zunehmen müssten. Aber es gebe auch positive Beispiele: „Ein Bauer in Norderney hat einen Stall mit 450 Masthähnchen – kann er davon leben? Ja, er kann. Er verkauft das Kilo Fleisch für 14 Euro an seine Kunden. Und die sind ihm treu.“


Stefan Johnigk zählt auf, wie viel die Deutschen pro Jahr essen: „59,3 Millionen Schweine, 3,7 Millionen Rinder und 1,4 Millionen Tonnen Geflügelfleisch. Jeder Bundesbürger isst durchschnittlich 90 Kilogramm Fleisch im Jahr“. 77 Prozent der Konsumenten würden angeben, dass es ihnen auf artgerechte Haltung und eine faire Entlohnung der Bauern ankomme. „Aber die Wirklichkeit sieht anders aus“, so Johnigk. Forderungen und Gesetzesentwürfe würden allerdings nicht helfen, bevor nicht ein Wandel im Bewusstsein der Menschen passiere.


Auch Frauke Eiben, Pröpstin des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, weist darauf hin: „Haben wir die Verantwortung für unser Handeln im Blick? Das muss sich jeder Mensch fragen lassen. Im Hinblick auf die Landwirtschaft, Landwirte und Verbraucher. Wo nur der maximale Profit bei den Erzeugern und die Jagd nach dem Billigprodukt bei den Verbrauchern im Vordergrund steht, ist es nicht möglich, ordentlich mit den Tieren und der Schöpfung insgesamt umzugehen. Ordentlich miteinander umgehen heißt auch, sich zu informieren, Vorurteile zu bearbeiten und etwas zu verändern, wenn ich auf dem falschen Weg bin“. Frank Lotichius, Pastor in Breitenfelde, fordert neben dem artgerechten Umgang mit Tieren auch die „artgerechte Bezahlung“ landwirtschaftlicher Produkte – ähnlich dem Prinzip des „fair gehandelten Kaffees“, das sich nach und nach im Denken der Verbraucher durchgesetzt habe.


In der anschließenden Diskussion mit Landwirten aus der Region wurde deutlich, dass Veränderungen in der Tierhaltung zum Wohle der Tiere gewünscht und nötig sind, die Bauern aber auf Hilfe der Verbraucher, des Handels und der Gesellschaft insgesamt angewiesen sind. „99,9 Prozent der Landwirte machen ihre Sache sehr gut. Wir brauchen das Vertrauen in unsere Arbeit, dann werden sich schneller als gedacht Antworten auf viele Fragen finden lassen“, so eine Stimme aus dem Publikum.

 

Foto: Carl-Heinz Schulz, Vorsitzender Kirchengemeinderat Breitenfelde, Diplom-Agraringenieur Ulrich Ketelhodt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA), Bischofsbevollmächtigter Gothard Magaard, Werner Schwarz, Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Stefan Johnigk vom Verein  „ProVieh“, Prof. Dr. Urban Hellmuth von der FH Kiel und Frank Lotichius, Pastor in Breitenfelde.