„Faszination Schnitger-Orgel“ – Entwürfe am 17. August 2012 zu sehen

Die Bombennacht zum Palmsonntag 1942 hat auch heute noch Auswirkungen: Eine der bedeutendsten Orgeln Nordeuropas, die Schnitger-Orgel, verglühte im Dom zu Lübeck. Ein Architektenwettbewerb soll nun zeigen, ob diese Lücke geschlossen werden kann. Ergebnisse werden am Freitag, dem 17. August ab 18 Uhr im Dom zu Lübeck präsentiert.

Die Zerstörung der Lübecker Altstadt und insbesondere der drei Kirchen St. Marien, St. Jakobi und des Doms in der Bombennacht zum Palmsonntag 1942 hat auch heute noch Auswirkungen: Eine der bedeutendsten Orgeln Nordeuropas, die Schnitger-Orgel, wird im Dom zu Lübeck noch immer schmerzlich vermisst. Sie bildete lange Zeit das Gegenüber zum Triumphkreuz. Das Instrument war zwischen 1696 und 1699 von Arp Schnitger, dem dominierenden Orgelbauer des 17. Jahrhunderts, am Westende der Kirche zwischen den beiden Türmen errichtet worden.

1893 war die Orgel innerhalb der prächtigen geschnitzten Fassade von der Firma Walcker komplett umgebaut worden. „In der Nacht Palmarum 1942 aber verglühte der prächtig geschnitzte Holzprospekt, als der Dom von den Bomben getroffen wurde“, sagt Domorganist Prof. Hartmut Rohmeyer. Lediglich der Spieltisch mit den Klaviaturen der drei Manuale – ebenfalls eine Meisterleistung aus Schnitgers Werkstatt – seien erhalten geblieben und im St. Annen-Museum zu bewundern. „Wir gehen davon aus, dass neben Buxtehude auch Bach, Händel und Mattheson dies Tasten gespielt haben“, so Rohmeyer.

Die Idee, die Schnitger-Orgel nachbauen zu lassen, ist über ein Jahrzehnt alt. Die Domorgel war Vorbild eines Orgelneubaus im schwedischen Göteborg, der 2000 vollendet wurde. Alte historische Handwerkstechniken wurden im Forschungsprojekt „GoArt“ verwendet – die zu einem außergewöhnlichem musikalischen Resultat führten. Seit 2002 werden die Diskussionen über einen Nachbau auch in Lübeck kontinuierlich weitergeführt. Im Frühjahr 2012 lobte die Domgemeinde – vertreten durch das Kirchenbauamt der Nordkirche – den Wettbewerb „Faszination Schnitger-Orgel“ aus. Im Rahmen eines Nachbaus der Orgel soll auch der westliche Raumabschnitt im Dom neu gestaltet werden. Fragen wie: „Ist eine Orgel nun in erster Linie ein Musikinstrument? Oder Ein Denkmal? Ein liturgischer Gegenstand? Ein architektonisches Gestaltungsmittel?“ konnten bei einem Kolloquium im Mai 2012 aufeinander abgestimmt werden. Fachleute unterschiedlichster Richtung arbeiteten dabei zusammen: Theologen überprüfen die sakrale Raumempfindung, Orgelbauer und Kirchenmusiker wünschen sich neben der modernen Orgel klanglich ein Barockinstrument, Architekten haben die Raumnutzung und Raumästhetik im Blick, Denkmalpfleger sind Anwälte der Zeitgeschichte. Danach wurden vier Architekturbüros – zwei aus Lübeck, zwei aus Hamburg – eingeladen, ein musikalisches wie auch architektonisch überzeugendes Konzept für die „Faszination Schnitger“ im Dom abzugeben. Begleitet wurden die Planer von vier Orgelbaufirmen.

Erste Zwischenergebnisse gab es im Juni, nun tagt das Preisgericht am 10. August und wird den gelungensten Entwurf zum Orgelnachbau krönen. Für die Öffentlichkeit besteht am Freitag, dem 17. August, um 18 Uhr im Ostchor des Domes die Möglichkeit, die Architektur-Entwürfe anzusehen.In ganz Schleswig-Holstein existierte nur noch eine Arp Schnitger-Orgel: auf der Insel Pellworm. Hans-Martin Petersen, Orgelsachverständiger der Nordkirche, sieht jetzt die große Chance gekommen, dass auch Lübeck bald wieder über eine Schnitger-Orgel verfügt. „Lübeck wäre wieder Vorreiter in Sachen Orgelmusik“, so Petersen.


In dieser Rolle sieht auch Prof. Arvid Gast vom Präsidium der Musikhochschule Lübeck die Hansestadt: „Durch die Schnitger-Orgel würde eine schmerzliche Lübeck im Repertoire der Instrumente unserer Stadt geschlossen werden“. Die Barock-Orgel sei für die Ausbildung der Kirchenmusiker und Konzertorganisten von unermesslicher Güte. Bisher würde die Stellwagen-Orgel in St. Jakobi intensiv genutzt. „Besonders die Erarbeitung von Werken der Norddeutschen Orgelschule des 16. bis 18. Jahrhundert würde die Schnitger-Orgel ermöglichen“.

Der Wettbewerb „Faszination Schnitger-Orgel“ wird finanziell von der Possehl-Stiftung, der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung und der Jürgen-Wessel-Stiftung unterstützt. Die geschätzten Kosten für den Nachbau der Orgel belaufen sich auf etwa zwei bis drei Millionen Euro. Die Kosten für den Umbau im Westwerk des Domes kämen hinzu. Für den Bau der Orgel müssen drei bis vier Jahre eingeplant werden. Mit dem jetzigen Wettbewerb sollen „alternative Ideen aufgezeigt werden, die dem Kirchengemeinderat ein Gefühl für eine neue Vision der Ausgestaltung des Westteils des Doms vermitteln können. Durch eine kreative Ausschöpfung der unterschiedlichen musikalischen, denkmalpflegerischen, liturgischen und architektonischen Belange kann eine Lösung für diese verschiedenen Ansprüche gefunden werden“, schließt Dr.-Ing. Heiko Seidel, vom Baudezernat der Nordkirche.


Für Dompastor Martin Klatt kann „die Musik gar nicht schön genug sein“. Kirchenmusik sei ein Bestandteil von Gottesdiensten. Der ursprüngliche Ort der Schnitger-Orgel im Westwerk des Domes sei der musikalisch und liturgische richtige Ort für eine Orgel. „Besonders, weil sich die Gottesdienstgemeinde im Dom in allen vier Blöcken um den Altar herum versammelt“, so Klatt.

Foto (v. li): Sie setzen sich für die neue Domorgel ein: Hans-Martin Petersen (Orgelsachverständiger), Hartmut Rohmeyer (Domorganist), Dr. Heiko Seidel (Baudezernat der Nordkirche), Prof. Arvid Gast Musikhochschule), Martin Klatt (Dompastor), Renate Menken (Possehl-Stiftung), Wolfgang Pötschke (Sparkassenstiftung) und Hans-Jochen Arndt (Jürgen Wessel-Stiftung) vor dem Spieltisch, der ausgebaut wurde, im St. Annen-Museum.

Text und Foto: Steffi Niemann