St. Lorenz, Lübeck: Kino in der Kirche, November 2013

Einen Tag lang stand die St. Lorenz-Kirche in Travemünde im ungewohnt hellen Scheinwerferlicht: Eine Crew aus Schauspielern, Kameraleuten, Maskenbildnern, Statisten, der St.-Lorenz-Kantorei und der Regisseurin Katja Benrath arbeiteten für einen Kurzfilm.

Einen Tag lang stand die St. Lorenz-Kirche in Travemünde im ungewohnt hellen Scheinwerferlicht: Eine Crew aus Schauspielern, Kameraleuten, Maskenbildnern, Statisten, der St.-Lorenz-Kantorei und der Regisseurin Katja Benrath arbeiteten Mitte Oktober für den Kurzfilm „Tilda“. Insgesamt drei Tage drehte das Team in Lübeck und Travemünde.

 

Im Mittelpunkt des dialogfreien Kurzstreifens steht Tilda, eine kontaktscheue Schneiderin, liebevoll dargestellt von der Neuseeländerin Debby Mullholland. Tilda lebt allein mit ihren selbstgenähten Puppen in ihrer Wohnung – es ist ihre eigene, kleine Welt, die sie kaum verlässt. Nur sonntags erblickt sie die Außenwelt, wenn sie in die Kirche geht. Hier hat sie leibhaftigen Kontakt zu Pastor Krause (gespielt vom Lübecker Vollblutschauspieler Gerhard Olschewski), dessen Duttenkragen Tilda alle paar Wochen stärkt und bügelt. Sie ist heimlich in den Pastor verliebt: Zuhause in ihrer kleinen Wohnung spielt Tilda mit ihren Puppen Szenen nach, in denen sie mit Pastor Krause spricht. Doch in der Kirche traut sie sich nicht, ihm in die Augen zu blicken und himmelt ihn verschüchtert aus weiter Ferne an. Doch als der Pastor eines Tages seinen Kragen beim Abendmahl mit Rotwein bekleckert, nehmen die Dinge plötzlich einen ungewohnten Lauf …

Die Idee zum Film kam Regisseurin Katja Benrath im Sommer: „Ich habe mich schon immer gefragt, wie der Duttenkragen hergestellt und gesäubert wird. Meine Mutter erzählte mir, dass es nur sehr wenige Menschen gäbe, die mit diesem Kragen umgehen könnten: Er wird gewaschen, gestärkt und stundenlang gebügelt.“  Ihre Hamburger Produktionsfirma fand schnell Hintergrundwissen heraus und wo entsprechendes Material ausgeliehen werden kann. Benrath: „Die Geschichte nahm mehr und mehr Gestalt an – und sie spielte in Travemünde“. Nicht ohne Grund. Die 34-Jährige ist gebürtige Lübeckerin, ihre Mutter singt seit 18 Jahren in der St.-Lorenz-Kantorei, die Oma lebt in Travemünde. „Auch ich habe einige Jahre im Chor mitgesungen bis ich nach dem Abitur Lübeck verließ. Und ich habe es geliebt.“ Kirchenmusikdirektor Hans-Martin Petersen sei ein großartiger Chorleiter, mitreißend und fachlich genial. Deshalb stand auch schnell fest, dass die St. Lorenz-Kantorei im Kurzfilm singen würde. Benrath, die heute in Wien lebt und bald wieder zurück in den Norden kommen will, schrieb kurzerhand die Kirchengemeinde St. Lorenz mit der Frage an, ob sie und ihr Team in der Kirche filmen könnten. „Es gab die volle Unterstützung“.  Die Pastorinnen Anja Möller und Astrid Baar sowie Küster Bernd Urban standen der Crew nicht nur fachlich uneingeschränkt zur Seite: „Sie haben uns mit ihrer Begeisterung und ihrem Vertrauen zusätzlich Mut gemacht. Gemeindeglieder, Familie und Freunde wurden zu Statisten und halfen bei der Organisation, sodass rund 100 Menschen an dem Drehtag beteiligt waren. Es war unvergesslich – und dennoch waren wir froh, am Ende den großen Kirchenschlüssel und damit die schöne Kirche wieder wohlbehalten, sauber und unbeschadet zurückgeben zu können.“

„Auch für uns war der Drehtag überaus spannend“, berichtet Pastorin Astrid Baar begeistert. Die Gemeindeglieder wurden vorab im Gottesdienst informiert, dass Statisten für „Tilda“ gesucht würden. „Wer Lust hatte, konnte mitmachen“. Sie erlebten hautnah, dass ein Film nicht schnell „im Kasten“ ist, sondern Szenen oft wiederholt werden müssen, bis alle zufrieden sind. „Und noch einmal, und noch einmal …“, sagt Astrid Baar amüsiert. Sie selbst sang im Chor mit, später saß sie als Statistin auf der Kirchenbank. „Wir wurden nicht sehr stark geschminkt, lediglich ein bisschen angeordnet. Und wir erhielten vorher die Order, nichts Schwarz-Weißes anzuziehen – das kommt im Film nicht so gut. Es sollte eine natürliche Szene sein, wie bei einem richtigen Gottesdienst.“ Für die Pastorin und alle Beteiligten der Kirchengemeinde sei es eine tolle Erfahrung gewesen. „Wir haben uns sehr gefreut, dass unsere schöne Kirche mit dabei war“.  

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Und wie geht es jetzt weiter? „Wir haben den Film einen Monat ruhen lassen, um wieder einen frischen Blick auf das Material zu bekommen“, erzählt Katja Benrath. Der Streifen werde anschließend „kino-fähig“ gemacht: geschnitten, die Filmmusik komponiert und am Sound gearbeitet. „Es gibt noch sehr viel zu tun, wir rechnen damit, ‚Tilda‘ bis zum Frühjahr fertig zu haben“. Danach werde der Kurzfilm, der eine Spieldauer von sieben bis zehn Minuten haben wird, bei Festivals wie den Nordischen Filmtagen eingereicht.

Das Fazit, das Katja Benrath zieht:  „Es ist sehr viel Aufwand und viel Geld für einen kurzen Film “. Wären alle Beteiligten branchenüblich bezahlt worden, hätte der Film rund 50.000 Euro gekostet. Doch zunächst haben alle ehrenamtlich mitgearbeitet. Für das Equipment wie die Leihgebühren für die hochwertigen Tageslichtlampen, die die Kirche von außen beleuchteten, den Fahrkosten und Verpflegung belaufen sich die Kosten auf etwa ein Achtel dieser Summe. Wir hoffen, durch unseren Antrag auf Filmförderung und Sponsoring am Ende mehr als die Materialkosten zu erhalten und der Filmcrew ein angemessenes Honorar zahlen zu können“.

 

Zur Person: Katja Benrath wurde 1979 in Lübeck geboren. Nach dem Abitur erlernte sie den Beruf der Schneiderin und studierte anschließend in Wien Schauspiel und Gesang. Seit 2006 erweitert Benrath ihr Repertoire mit der Filmregie. Sie gehört zur „Tagträumer Filmproduktion“, ein engagiertes Team dreier kreativer Filmschaffender. Die Tagträumer widmen  Menschen und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen im Alltag und in Ausnahmesituationen. Sie hinterfragen liebevoll und bis in das kleinste Detail. „Tagträumer“-Filme liefen schon auf vielen internationalen Festivals und sind mehrfach ausgezeichnet worden. Weitere aktuelle Filme von Katja Benrath sind „Puppenspiel“ und „Im Himmel kotzt man nicht“. Infos zum Kurzfilm „Tilda“ gibt es unter www.tilda-film.com.

 

Text: Steffi Niemann / Fotos: Tagträumer Filmproduktion

 

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