Immer dienstags gibt es das Trauer-Café in der St. Lorenz-Kirche Lübeck. Am 4. November 2014 wurde zum „Tag der offenen Tür" geladen – weitere Veranstaltungen folgen im November und Dezember. Lesen Sie mehr:
Das Gras unter den vorsichtig auftretenden, robust beschuhten Füßen gibt mit leisen Geräuschen nach. Ein erdiger Geruch durchströmt die feuchte Luft. Grabsteine, kleine und große, verwitterte und noch frische, stehen in loser Reihenfolge auf dem Friedhof. Holzstelen – „Seelenbretter“ genannt, sind mit Worten, Psalmen und Bildern bemalt. Sie und andere Holzstatuen zeigen die große Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen. Die Füße gehen weiter. Die Augen sehen ein kleines Quadrat, umrahmt mit viel Grün und Blumen, Kerzen, Kreuzen, Namenschildern, Engeln. Tränen kitzeln vor Berührung das Innere des Auges. Hier sind Babys begraben, die nie das Licht der Welt erblickten. Ein paar Meter weiter steht der „Krug der Tränen“ inmitten der ebenfalls bunt und liebevoll geschmückten Gräber der kleinen Seelen, die nur für einen kurzen Moment auf der Erde weilen konnten. Nichts ist zu hören in diesem Augenblick. Nur die Stille.
„Das Thema Trauerarbeit fiel uns quasi vor die Füße“, erzählt Margrit Kehring-Ibold, Pastorin an der Lübecker St. Lorenz-Kirche „2004 wurde die Gedenk- und Bestattungsstätte für Totgeborene auf unserem Friedhof eingerichtet. Fast zeitgleich klopften zwei Väter, die ihre Söhne verloren hatten, an meine Tür und fragten nach einem Angebot für trauernde Menschen“. So entstanden nach und nach die Trauergruppe, die Gruppe für trauernde Eltern und das Trauercafé. Das Thema Trauer hat mit der St. Lorenz-Kirche den richtigen Platz gefunden: die Kirche am Bahnhof entstand im 17. Jahrhundert aus dem Friedhof heraus.
Pastorin Kehring-Ibold sitzt mit Trauerbegleiterin Marita Borgwardt im Vorraum der Kirche, der immer dienstags auch als Trauercafé genutzt wird. Am 4. November 2014 wird von 15 bis 17 Uhr zum „Tag der offenen Tür" geladen – Interessierte können sich informieren, reden oder einfach nur schauen. Beendet wird der „Tag der offenen Tür " mit einer begehbaren Lichterspirale hinter der Kirche auf dem Friedhof: „Jeder Besucher erhält eine Kerze, mit der er durch die Spirale geht und in ihrer Mitte, dem symbolischen Tiefpunkt, diese durch eine Trauerbegleiterin angezündet bekommt. Am Ende der Spirale stellt der Trauernde die Kerze zu den vorhandenen schon brennenden Kerzen. So wird die Spirale größer und größer“, berichtet die Pastorin, die schon 28 Jahre für „ihre“ Kirche tätig ist.
Die Menschen, die die Trauerangebote nutzen würden, kämen von Nah und Fern, berichten die beiden Frauen. „Für viele ist es einfacher das Angebot der Trauerbegleitung anzunehmen, wenn sie von etwas weiter weg zu uns kommen“, so Marita Borgwardt. Sie selbst habe 2009 eine Ausbildung als Trauerbegleiterin und parallel als Lebensberaterin absolviert und bietet ihr Wissen und vor allem ihr Einfühlungsvermögen seitdem Trauernden an. „Trauerbegleitung ist dafür gedacht, Menschen wieder ins Leben zurückzuführen. Jeder muss zwar seinen Trauerweg alleine gehen, mancher schafft es selbst und er findet den Weg zurück ins Licht; bei anderen ist der Weg länger und steiniger und wir können dann durch unsere Begleitung dem Trauernden hilfreich zur Seite stehen. Es spielen in der Trauerarbeit auch Faktoren wie eigene unverarbeitete traumatische Erlebnisse oder andere, zurückliegende Trauerfälle hinein. Jeder Weg ist so individuell wie der Mensch selbst“. Ihre Arbeit bestehe deshalb darin, mit den Trauernden zu reden und zu fühlen, was sie gerade brauchen. „Dazu bieten wir auch Workshops an. Worte können nicht immer weiterhelfen. Durch kreatives Werken, wie Malen, Schreiben, Musizieren oder auch Handwerken kommt man sehr gut an die unbewussten Gefühle heran. Diese starken Emotionen werden später in den Werken sichtbar“, so Marita Borgwardt weiter. Und: „Ein Trauerweg hat verschiedene Stufen. Wut, Verdrängung, Annahme, Hilflosigkeit und am Ende die Hoffnung – all diese Phasen durchlaufen Trauernde. Wir holen sie dort ab, wo sie gerade stehen“. Besonders für Menschen, die Angehörige durch gewaltsame Tode, etwa Suizid, Unfall oder gar Mord verloren, sei der Weg durch die Trauer oft schwierig. Ein Unterschied zwischen natürlichem oder gewaltsamen Tod werde bei der Trauerarbeit nicht gemacht: „Der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen ist immer da. Er wird nicht mit einer Skala bewertet“.
Angebote der St. Lorenz-Kirchengemeinde:
Am Dienstag, dem 4. November 2014, findet Tag der offenen Tür von 15 bis 17 Uhr im Trauercafé statt. Ort: St. Lorenz-Kirche, Steinrader Weg 10. Das Trauercafé ist immer dienstags geöffnet. Am Ewigkeitssonntag, dem 23. November 2014, gibt es um 11 Uhr den Gottesdienst für Trauernde mit der Möglichkeit, den Namen eines Verstorbenen verlesen zu lassen. Eine Trauergruppe trifft sich jeden ersten und dritten Montag im Monat von 19 bis 20.30 Uhr im Gemeindehaus, Steinrader Weg 18. Die Gruppe für trauernde Eltern trifft sich jeden letzten Montag im Monat um 17 Uhr im Gemeindehaus. Jeden ersten Mittwoch im Monat trifft sich als Gastgruppe die Selbsthilfegruppe für Suizidhinterbliebene, 19 bis 21 Uhr, ebenfalls im Gemeindehaus. Für totgeborene Kinder gibt es vier Trauerfeiern und Bestattungen im Jahr. In diesem Jahr ist der letzte Termin am Mittwoch, der 10. Dezember 2014. Und am Sonntag, dem 14. Dezember 2014, wird mit dem „Weltweiten Kerzenleuchten“ den verstorbenen Kindern gedacht. Um 19 Uhr werden in allen Zeitzonen Kerzen angezündet – so auch in der St. Lorenz-Kirche. Nach dem ökumenischen Gottesdienst wird zum Gespräch und einer kleinen Stärkung geladen. Für alle Interessierten bietet die Kirchengemeinde eine kleine Bibliothek mit Büchern zu den Themen Trauerbegleitung, Sterben und Tod.
Weitere Informationen, Termine, Workshops und Ansprechpartner sind im Internet unter www.st-lorenz-luebeck.de zu finden.
Foto: Marita Borgwardt (vorn) und Pastorin Margrit Kehring-Ibold blättern im Trauerbuch. Hier können Trauernde Worte an ihre verstorbenen Angehörige oder Freunde schreiben.