Zum Ende ihrer ersten Amtszeit hat Lübecks Pröpstin Petra Kallies die Kirchengemeinde St. Georg in Lübeck-Genin besucht. Damit hat sie in den vergangenen 13 Jahren alle evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden visitiert. Am 20. September 2021 steht die Theologin als einzige Kandidatin während der Synode des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg zur Wiederwahl. Sie beginnt um 15.30 Uhr in der Grönauhalle. Alle Infos zur Herbstsynode gibt es online .
Interview mit Pröpstin Petra Kallies
Was eine Visitation ist, welche Aufgaben eine Pröpstin außerdem hat und wie sich die evangelische Kirche in Lübeck verändert hat, davon erzählt Petra Kallies am Rande der Haus- und Hofbesichtigung in Genin im Interview.
Wir sind in der Kirchengemeinde St. Georg-Genin. Erzählen Sie doch einmal über diese Gemeinde?
Mittelpunkt der Gemeinde ist die wunderschöne Dorfkirche St. Georg, am Stadtrand von Lübeck gelegen. Wer die noch nicht kennt, hat etwas verpasst. Es ist ein wunderbarer Raum mit einem ganz besonders schönen Friedhof mit alten Eichen und manch anderen Besonderheiten. In dieser Woche visitiere ich die Kirchengemeinde St. Georg. Das heißt, ich bin eine Woche hier, gucke bei Gruppen rein, informiere mich über die Gemeinde, was für die Menschen hier wichtig ist und was sie beschäftigt.
Was ist eine Visitation?
Visitation, das kennen Sie vom englischen Wort to visit, heißt Besuch. Das ist entstanden in der Reformationszeit, als die alten katholischen Gemeinden evangelisch wurden. In regelmäßigen Abständen kam der Bischof oder Propst und sah sich alles an: Wie die Kirchengemeinde theologisch tickte, man hat auf die Finanzen und das Inventar geschaut. Das war lange ein Instrument der Aufsicht und deshalb nicht wirklich beliebt. Das ist heute anders. Für mich ist die Visitation ein wertschätzender Besuch. Wir kommen ins Gespräch, auch darüber wo es hakt. Und das ist manchmal hilfreich, denn wir Pröpstinnen und Pröpste kommen rum und können vernetzen
Visitationen sind für uns Pröpstinnen und Pröpste ein echtes Geschenk: Eine Woche lang Menschen zu begegnen, denen Leidenschaft und Herz für den Glauben und für die Kirche schlägt.
Welche Aufgaben hat eine Pröpstin neben der Visitation von Kirchengemeinden?
Zu meinen Aufgaben gehört es, den Konvent der Pastor:innen in Lübeck zu leiten. Da geht es um Fragen, die über eine Kirchengemeinde hinausgehen. Ein nicht unerheblicher Teil der pröpstlichen Arbeit sind Entwicklungsthemen. Es geht um Strukturveränderungen und das Nachdenken über Fragen: Wie können wir den pastoralen Dienst in den Gemeinden auch mit weniger Personal gut gestalten? Wie kommunizieren wir als Kirche und erzählen über unsere Arbeit? Ich bin als Pröpstin auch Ansprechpartnerin für andere Kirchen, die Stadt, Organisationen und die Medien.
Sie sind seit 2008 Pröpstin des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg. Was hat sich in den 13 Jahren verändert?
Alles. Die Welt ist eine andere geworden: Die Gegebenheiten verändern sich unheimlich schnell. Was gestern galt, ist heute neu zu bedenken.
Wenn wir auf die nackten Zahlen schauen, haben wir weniger Mitglieder, weniger Mittel und weniger Pastor:innen. Wenn wir aber auf die Profile schauen, dann haben wir mehr. Kirchenmusik, Kindergruppen, Jugendfreizeiten, Gottesdienst in vielerlei Gestalt. In der evangelischen Kirche finden alle, die danach suchen, Gemeinschaft im Glauben. Seit drei Jahren arbeitet der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburgn zusammen mit den Gemeinden und den Diensten und Werken, im Prozess „Zukunft Kirche“ aktiv daran, Strukturen den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Das kostet Kraft, macht aber auch unheimlich viel Freude, Kirche in Veränderung zu erleben.
Viele Menschen verlassen die evangelische Kirche. Kennen Sie die Gründe?
Das ist eine gute Frage, die mich selbst sehr interessiert. Aus Umfragen wissen wir, dass die Kernaufgaben von Kirche für Menschen unterschiedlichen Alters weiterhin relevant ist: Seelsorge, Begleitung an Lebenswendepunkten wie der Geburt eines Kinden, der Hochzeit oder im Sterben.
Das diakonische Handeln von Kirche hat ebenfalls ein hohes Ansehen, zum Beispiel die Arbeit mit Geflüchteten, die TelefonSeelsorge oder die Bahnhofsmission.
Die Kirchensteuer ist nicht vergleichbar mit dem Mitgliedsbeitrag im Fitnessstudio oder dem Abo für einen Streamingdienst – man hat manchmal nicht direkt etwas davon. Die Kirche unterstützt mit ihren Angeboten oft die, die keine Steuern zahlen. Weil sie eben kein Geld verdienen: Die alten Menschen, Menschen die von Armut betroffen sind und auch Kinder. Die Kirchensteuer hat also einen solidarischen Grundgedanken.
Das zweite Corona-Jahr neigt sich dem Ende. Was hat die Pandemie mit der evangelischen Kirche in Lübeck gemacht?
Corona hat uns 2020 alle kalt erwischt: Angst, Ohnmacht, Unsicherheit. Die ganze Welt und jede:r einzelnze hatte auf einmal die Endlichkeit sehr deutlich vor Augen.
Das kirchliche Leben kam kurzzeitig fast vollständig zum Erliegen – klar: Wir leben unseren Glauben in Gemeinschaft. Es gab und gibt in der Kirche viele leidenschaftliche Menschen, die andere Wege gefunden haben, um in Kontakt zu bleiben. Im digitalen Raum ist unheimlich viel Neues entstanden. Gottesdienst via YouTube, Konfirmandenunterricht per Zoom. Unendlich viele Briefe wurden geschrieben, Tüten für den Gottesdienst zu Hause gepackt, Geh-Spräche geführt.
Am 20. September 2021 stehen Sie zur Wiederwahl als Pröpstin in Lübeck. Zehn Jahre dauert eine Amtszeit – welche Schwerpunkte sehen Sie für die nächste Zeit in der pröpstlichen Arbeit?
Ich möchte die Menschen in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen dabei unterstützen, Neues zu wagen und auszuprobieren. Sich auch von Dingen zu trennen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Und ich werde die Verantwortlichen in den Gremien dabei unterstützen, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Es ist eine große Herausforderung, das kirchliche Leben umzustrukturieren. Einen besonderen Akzent möchte ich auf die Gestaltung unserer Gottesdienste legen. Sie sind das Zentrum unserer Gemeinschaft. Und ich gehe wieder auf Besuch und visitiere die Kirchengemeinden in Lübeck.
Weitere Informationen zu Pröpstin Petra Kallies gibt es hier.