Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Bischöfin Fehrs: Ein Appell für Liebe und Menschenfreundlichkeit

Kirsten Fehrs ist Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche. Copyright: Marcelo Hernandez

Lübeck. 400 Teilnehmende zählte der Lübecker Kreuzweg am Karfreitag 2025. Die Ansprache von Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der EKD und Bischöfin der Nordkirche für Lübeck und Hamburg, im Wortlaut.

Der Beitrag im Wortlaut 

Gelitten unter Pontius Pilatus.

So bekennen wir´s gemeinsam im Glaubensbekenntnis, liebe Geschwister, das uns Christinnen und Christen in der weltweiten Ökumene verbindet. Geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus. Unmittelbar folgen sie aufeinander – Maria und Pilatus. Was für eine ungeheure Spannung: Hier die Frau, die Leben schenkt, dort der Mächtige, der mordet. Hier verletzliche Schutzlosigkeit, dort brutale Tyrannei. Hier ein neuer Anfang im Geist der Liebe, dort der Zeitgeist, der keine Barmherzigkeit mehr kennt. Geboren und gelitten. 

Ich sehe sie vor mir im Geiste, die Maria, und ja, auch Josef. Und sehe in ihnen die verzweifelten Mütter und Väter in Kiew. In Israel. Im Gaza. In Khartum. Im Kongo. Im Jemen. An unendlich vielen Orten ist Krieg, ist Angst in der Welt. Und ich sehe Pilatus, der meint, sich die Hände in Unschuld waschen zu dürfen, obwohl er es doch ist, der verantwortlich bleibt. Der das Grauen und den aufgehetzten Mob hätte stoppen können. Er lässt Jesus auspeitschen. Er übergibt ihn den Soldaten zur Hinrichtung. Die hauen ihm auf den Kopf! Das Entsetzen der Freunde interessiert ihn nicht. Den Protest hört er nicht. Das Flehen seiner eigenen Frau, egal. Ohnmächtige Wut spüre ich bei ihr, ja bei mir aufkommen. Ohnmächtige Wut, wie ich sie bei vielen in diesen Tagen erlebe angesichts des täglichen Irrsinns. Die herrschenden Gewalttäter unserer Tage scheinen sämtlich bei Pilatus in die Schule gegangen zu sein. 

Bei Pilatus in die Schule gegangen

Damals wie heute: Wenn Menschen wie wir sich für Gottes Weltordnung einsetzen, für die Würde und das Recht aller Menschen, dann stoßen wir mit Weltbildern und Ideologien zusammen, die Liebe und Barmherzigkeit zum Feindbild erklärt haben. In der Welt heutiger Machtpolitik, die schnell nur Sieger und Verlierer kennt, ist Jesus zwar der scheinbar Schwächere, aber gerade dadurch der Überlegene. Und mit ihm alle, die weiter lieben und hoffen und vertrauen wollen. Die mutig versuchen, sich nicht zu fürchten. Die Haltung zeigen und aufrecht gehen. Deren Haltung auch im Tun sichtbar wird. Ja, es gibt ein weltumspannendes Netzwerk aus Menschen, religiöse und nicht-religiöse Menschen, die sich der Macht der Autokraten nicht unwidersprochen unterordnen. Die den Angstmachern die Stirn bieten

Noch leben wir in einem demokratischen Land

Deshalb bekennen wir mit großer Überzeugung die Verwundbarkeit, den verletzten Gott, der sich gerade so quält. Weil wir verwundbar bleiben müssen. Gerade weil wir die weltliche Macht von Neid, Geiz und Missgunst auch in uns selbst kennen. All das in uns, was Unrecht, Verachtung und Hass antreiben kann. Wir wissen um das Böse und unsere Verführbarkeit, und deshalb haben wir allen Grund dessen zu wehren.

Noch leben wir in einem demokratischen Land, in dem das Recht stärker als die Willkür ist. Doch es kommt jetzt auf uns alle an! Jüngst war ich bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages in Berlin dabei – ich war aufrichtig erschrocken, liebe Geschwister, wie fast vom ersten Moment an ein lärmender rechtsextremer Block pöbelnd, johlend und menschenverachtend den Ton des Hasses in diesem ehrwürdigen Haus setzte. Manche sagen inzwischen, es ist unsere letzte Chance, Haltung zu zeigen. Und das heißt eben für mich genau: verwundbar zu bleiben für die in ihrer Würde Verletzten. Den Rücken gerade zu machen für die Weltordnung der Liebe. Sich mit aller Kraft für diese Demokratie einzusetzen. Das Leiden Jesu unter Pilatus möge uns als Bild vor Augen stehen, was auch in unserem Land (wieder) geschehen kann, wenn radikale Zyniker an die Macht kommen.

 Liebe Geschwister, lasst uns in ökumenischer Gemeinschaft der unabdingbaren Liebe und Menschenfreundlichkeit, lasst uns Jesus nachfolgen. Er ist geboren und hat gelitten, auf dass wir leben. Das bekenne und glaube ich. Jeden Tag neu mit der Kraft der Hoffnung. Amen.