Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Bugenhagenmedaille für Peter Perner und Joachim Nolte

Bischöfin Fehrs: „Grenzgänger und Vermittler im Namen der Menschlichkeit“

Die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) hat Joachim Nolte (Propstei Lübeck) aus dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg am Sonntag, 15. November, mit der Bugenhagenmedaille ausgezeichnet. Aus gesundheitlichen Gründen erhielt Peter Perner (Propstei Lauenburg) die Ehrung bereits am 4. September im Rahmen einer Hausandacht.Die Bugenhagenmedaille wird verliehen für hervorragende Verdienste um das kirchliche Leben und ist die höchste Auszeichnung der Nordkirche für ehrenamtliches Engagement.

Peter Perner vielfach ehrenamtlich engagiert

Peter Perner (71) ist bereits das Ansgarkreuz des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg verliehen worden, weil er sich über viele Jahre „und  mit großer Menschenfreundlichkeit“ in unterschiedlichen Bereichen des kirchlichen Dienstes verdient gemacht habe, wie es in dem Schreiben der Pröpstinnen Petra Kallies (Propstei Lübeck) und Frauke Eiben (Propstei Lauenburg) an die Kirchenleitung der Nordkirche heißt. Dazu gehören sowohl sein Engagement in der Hospizarbeit als auch sein Mitwirken in der Ökumene-Stiftung. Peter Perner ist als Volkswirt und Banker inzwischen im Ruhestand, widmet sich aber weiterhin diversen Ehrenämtern.

Ausstiegsberater hilft jungen Menschen

Geehrt werden soll er für sein großes Engagement im Rahmen von „Kirche gegen Rechtsextremismus“: Als Ausstiegsberater verhilft Peter Perner jungen Menschen zu einer neuen Zukunft außerhalb des Nazi-Milieus. „Mit Umsicht führt er Aussteiger und eine interessierte Öffentlichkeit in einen Dialog. Als Mitglied im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus versteht er es, über die Kirchenkreisgrenzen hinweg unterschiedliche Menschen aus Kirche, Kultur und Politik miteinander ins Gespräch zu bringen  –  gänzlich uneitel und bescheiden. In dieser Haltung tut er seinen ehrenamtlichen Dienst in der Kirche und für die Kirche – immer als Grenzgänger und Vermittler“, heißt es in der Begründung weiter.

Bischöfin Fehrs: Solche Menschen braucht unsere Gesellschaft

Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche: „Peter Perner beeindruckt mit seiner unaufgeregten und heilsamen Art, auf die Menschen zuzugehen. Mit seinem christlichen Menschenbild gibt er keinen verloren, sondern jedem immer neu eine Chance sich zum Guten zu ändern und an Versöhnung zu glauben. Solche Menschen braucht unsere Gesellschaft! Ich bin dankbar für seinen großen Einsatz im Namen der Menschlichkeit, aber auch für seinen weitsichtigen Blick über den eigenen Horizont hinaus; er will verstehen, was Menschen zu ihrer Haltung drängt und was sie prägt. Auch ist Peter Perner immer wieder ein guter Berater der Pröpstinnen und des Kirchenkreises in schwierigen Situationen gewesen. Seine hohe Fachkenntnis und Ansprechbarkeit für diesen Themenkomplex sind wirklich bemerkenswert!“

Bugenhagenmedaille für Lübecker Joachim Nolte

Joachim Nolte (57), Enkel eines KZ-Insassen aus Neuengamme, hat sich bereits früh mit Unrechtssystemen und ihren Ursprüngen auseinandergesetzt. In der pröpstlichen Begründung heißt es: „Als engagierter Bürger das Gemeinwohl mitgestalten, eingreifen und Widerstand leisten, wo es nötig ist, anderen eine Stimme geben, denen Unrecht widerfährt, ist ihm ein großes Herzensanliegen. Er wirkte und wirkt in Lübeck und der Nordkirche im  Spannungsfeld von Kirche und Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Orientierungen und Aktivitäten.“

Thema Kirche gegen Rechtsextremismus innerkirchlich vorangetrieben

Zusammen mit drei Mitstreitern hat Joachim Nolte die Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus innerkirchlich vorangetrieben, zum Teil gegen enorme Widerstände. Sein Engagement vor Ort in Lübeck habe schnell auch Kreise in die Landeskirche hinein gezogen. So richtete der damalige Evangelisch-Lutherische Kirchenkreis Lübeck 2008 die Beauftragung „Kirche gegen Rechtsextremismus“ ein, auf die Joachim Nolte berufen wurde.

Bischöfin Fehrs: Joachim Nolte baut Brücken zwischen Kulturen und Standpunkten

Bischöfin Fehrs: „Joachim Nolte  baut auf beispielhafte Art Brücken zwischen unterschiedlichen Kulturen und Standpunkten. Als Bindeglied vermittelt er zwischen Autonomen, Polizei, Kirche, Gewerkschaften und anderen. Er spricht deren Sprache und hat stets alle im Blick. Joachim Nolte lebt auf beeindruckende Weise Kirche auf Augenhöhe. Position beziehen und dafür einstehen, als Einzelner in der Zivilgesellschaft, aber auch als Kirche, streitbar zu sein auch gegen Widerstände, das zeichnet Joachim Nolte aus. Darum habe ich vor ihm als engagiertem Netzwerker unserer Kirche große Hochachtung.“

Die Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs im Wortlaut

Liebe Gemeinde,

es wird nicht so bleiben. Eine andere Zeit wird kommen. Das ist die große Hoffnung, die sich wie ein roter Faden durch die Gedenktage des Novembers zieht. Allemal in diesem Jahr 2020, im 75. Friedensjahr in Westeuropa, das wie die ganze Welt ächzt und stöhnt unter einer grundverstörenden Pandemie.

Es wird nicht so bleiben. Es wird eine andere Zeit kommen. Gerade jetzt in diesen Gedenktagen setzt die Bibel ganz bewusst den Lebensakzent – mit lauter Hoffnungsbildern vom ewigen Leben, vom Frieden, von Versöhnung und Neuanfang. „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen“, dieses Wort aus Jesu Bergpredigt steht also nicht umsonst über diesem besonderen Tag.

Denn dieser Tag, an dem wir als ganze Nation in tiefer Trauer der Opfer zweier Weltkriege und einer grauenhaften Nazidiktatur gedenken, dieser Tag, an dem ich normalerweise um diese Uhrzeit in Neuengamme stehen würde, in dessen KZ Ihr Großvater, lieber Herr Nolte, einst unvorstellbare Gewalt erlitten hat – Welch übergroße Schuld! – dieser Tag, an dem die Erkenntnis menschlicher Abgründe und das Leid von Millionen Menschen immer wieder das Fassbare übersteigen, dieser Volkstrauertag braucht immer auch die Erinnerung an den Widerstand der Geradlinigen. An die unermüdlichen Friedensstifter auch unserer Zeit.

Zwei dieser Friedensstifter darf ich heute mit der höchsten Auszeichnung der Nordkirche, der Bugenhagenmedaille ehren. Zwei, die sich stark gemacht haben für Menschenrecht, Kulturvielfalt und Demokratie. „Es wird nicht bleiben bei brauner Einfalt“, haben sie gesagt. Sie sind aufgestanden, immer wieder, gegen Menschenverachtung, Ausgrenzung und Rassismus. Was liegt näher, liebe Gemeinde, als diese beiden Christenmenschen heute an diesem besonderen Tag zu ehren? Nämlich Peter Perner, der wegen schwerer Krankheit nicht bei uns sein kann; mich berührt das sehr und tut mir von Herzen leid. Die Medaille wurde ihm schon durch seine heutige Laudatorin Pröpstin Eiben überreicht – wie gut, dass sein Sohn Frederik Perner, hier ist und für seinen Vater die Urkunde entgegennimmt. Wir wissen, Ihr Vater ist in dieser Stunde ganz bei uns, und wir sind ganz bei ihm in Gedanken und Gebeten.

Unermüdlicher, bisweilen streitbarer Friedensstifter sind auch Sie, lieber Herr Nolte, ebenso mit unbeirrbar klarer Haltung und klarem Wort gegen rechtsextreme Gedanken, menschenverachtende Sprache und Handeln. Wie sehr passt diese Bugenhagenmedaille zu Ihnen beiden. Sagt man doch Bugenhagen, dem großen Reformator des Nordens nach, dass er ein aufrechter, geradliniger und zugleich gütiger Mensch war, der sich einsetzte für die Übersehenen und Benachteiligten, und der mit plattdeutschem Klartext Unrecht beim Namen zu nennen verstand. So dass es wirklich jeder verstand.

Bugenhagen, auch das passt gut, war nicht nur ein Mann des Wortes, sondern der Tat: Seine Kirchenordnungen, die letztlich Stadtordnungen und soziale Reformprogramme waren, haben wirklich Verhältnisse verändert. Es wird und soll nicht so bleiben mit Krankheit, Seuchen und Armut, das war sein Credo. Und man könnte mit Ihrem Credo, lieber Herr Nolte, antworten, das Paolo Freire 1973 so formulierte: „Es gibt kein wirkliches Wort, das nicht gleichzeitig Praxis wäre. Ein wirkliches Wort sagen, heißt daher, die Welt verändern.“

Es wird nicht so bleiben, es kommt eine andere Zeit. Doch wann, fragen die Pharisäer Jesus. Wann kommt das Reich Gottes, das diese Wirklichkeit verändert? Sie begehren es zu wissen, heißt es, alles ist so unglaublich ungewiss geworden. Die Wirklichkeit, in die hinein Lukas sein Evangelium schreibt, ist bedrückend. Die Gräuel des jüdischen Kriegs belasten zutiefst die Seelen der Menschen. Im Trauma gefangen werden sie den Schrecken einfach nicht los und die Angst davor, was kommen wird.

Wann kommt es, wird es wirklich, dieses Gottesreich? So bedrängen sie Jesus. Und der entgegnet: „Siehe! Es kommt ohne Fanfaren und Zeichen der Macht. Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Sehet! Auf dieses kleine Wort kommt‘s an. Denn zum Sehen der ganzen Wirklichkeit braucht es nicht allein wache Augen. Sondern ein berührbares Herz. Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man‘s – quasi aus der Distanz – beobachten kann wie ein Zuschauer. Nein, es ist mitten unter, es ist in uns. Unberechenbar. Blitzartig. Es ist da, weil dein Herz brennt, weil du etwas glaubst, hoffst, weil du liebst.

Lukas liebt den Begriff vom Reich Gottes. Es ist für ihn – im Freireschen Sinne – „wirkliches Wort“. In ihm bindet sich all das, was Jesus für ihn ist und was er für uns sein will: einer, der es mit den Dämonen der Zeit aufnimmt und dich davor rettet, einer, der jedes Kind liebt und die Freiheit und ihren Feind, der die richtigen Worte und Gesten findet, die trösten und aufrichten.

Also aufgerichtet – und nun sehet! Es gibt mehr als das, was jetzt ist, sagt er. Es gibt ein Darüberhinaus. Sieh hin! Über den Schrecken hinaus. Über deine Traurigkeit, deine Sorge und derzeit so quälende Ungewissheit hinaus. Über deine Eile und Unzufriedenheit hinaus, über das kleine Karo hinaus gibt es die Weite, die Erwartung einer hellen Zeit. Welche Katastrophe, liebe Gemeinde, würden wir diese Zukunft vergessen und die Gegenwart verewigen. Dann ginge ja alles weiter wie bisher!

Nein, es soll nicht so weitergehen mit Rassismus und Rechtsextremismus. Sünde ist beides, sagen Peter Perner und Sie, lieber Herr Nolte. Seit Jahrzehnten ist es Ihr Thema – und unseres auch. Allemal jetzt, wo die rechtsextremen und antisemitischen Angriffe in diesem Land so besorgniserregend zugenommen haben. Wie wichtig sind deshalb Menschen wie Sie! Die unermüdlich Brücken bauen, so wie Peter Perner es mit seinem Kenntnisreichtum und in seiner unaufgeregten und heilsamen Art geschafft hat, Menschen aus der rechtsextremen Szene „heraus zu beraten“. Einfühlsam und dennoch klar in der Sache gibt er niemals einen Menschen verloren, so verirrt der auch sein mag. Das ist schon eine besondere Fähigkeit, so grundgütig das Darüberhinaus zu leben, und immer damit zu rechnen, dass sich jemand zum Guten ändert!

Und Sie, lieber Herr Nolte, Sie haben jahrelang hartnäckig Brücken gebaut zwischen Autonomen, Polizei, Kirche, Gewerkschaften und anderen. Ich habe es live und in Farbe miterlebt bei der Demonstration zu Palmarum 2012, als es galt, dem geschichtsverklitternden „Trauermarsch“ der Neonazis den Marsch zu blasen. Was wären wir in der Kirche ohne Sie, den Mutmenschen und begnadeten Netzwerker, der überdies bundesweit hoch geachtet ist.

Sie beide stehen für das lebendige Wort von der Hoffnung. Ich danke Ihnen von Herzen dafür. Und Sie stehen zugleich für zahlreiche Ehrenamtliche in unserer Kirche, die empfindsam bleiben und genau hinsehen – getragen von dem tiefen Glauben, dass jeder Mensch bei Gott ein Recht auf Anerkennung und Würde hat. Denn natürlich, es gibt noch so vieles, was wir jetzt noch nicht sehen können, aber trotzdem unseren Glauben braucht: eine Gesellschaft mit Menschen, die gerade jetzt zusammenhalten, um eine Pandemie zu bestehen, ein Weltenhaus, in dem Verschwörungstheoretikern die Tür gewiesen wird, eine Kirche, die mutig, viel mutiger noch aufsteht und dafür eintritt, dass Schwerter zu Pflugscharen werden und Waffenexporte gestoppt.

Jedes Volk auf dieser Erde braucht eine Heimat mit Menschenrecht und Freiheit. Ein Reich, wie es das Evangelium in unsere Gegenwart hineinliebt und hinein erinnert. Ein Reich, in dem es keine Mauern der Abgrenzung gibt und Feindschaft der Verschiedenen. Ein Reich ohne Stacheldraht an europäischen Grenzen. Dafür aber ein Reich mit schützenden Mauern, die ein sicheres Zuhause geben, gutes Leben, Brot und Arbeit. Wie aber, liebe Gemeinde, schaffen wir das: eine Heimat, ein Haus Deutschland, das keinen Rechtsextremismus mehr kennt? Es ist ja längst noch nicht fertig. Wie schaffen wir das: ein Haus Europa und keine Festung, vor der Tausende Flüchtlinge ihr Leben lassen? Ein Haus auf dieser Welt und kein Armenhaus im Süden? Ein Haus (griechisch: Ökumene), in dem wir leidenschaftlich füreinander beten, miteinander handeln und den Frieden in die Wirklichkeit hinein denken?

Wir brauchen Gott dazu. In unserer Mitte. Mit seinem Trost und seinem Licht. So viele sehnen sich doch gerade jetzt danach. Hoffnung, die trägt durch kritische Zeit. Deshalb auch brauchen wir Hoffnungsmenschen wie unsere Bugenhagenmedaillen… – Gewinner, hätte ich fast gesagt –, die zeigen, welche Kraft in Menschen steckt, die Christus in ihrer Mitte wissen. Ich wünsche unserem Land und ich wünsche Ihnen allen, liebe Geschwister, diese visionäre Friedenskraft und Gottvertrauen. Mit aufrechter Haltung und Gebeten für eine menschlichere Welt. Dahin leite uns der Friede Gottes, höher als alle Vernunft; er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Quelle: Nordkirche (mw/tpf)