Geistliches Wort im Monat Juli Beides zugleich


Freitagabend, 18.00 Uhr. Friedensgebet. Seit einiger Zeit geht dieses Gebet in der Region von Kirche zu Kirche, jeden Freitag an einem anderen Ort. Bei uns ist es heute zum ersten Mal. Draußen strahlt die Sonne, drinnen sitzen wir für einige Minuten im Kerzenschein, singen, schweigen, hören die alten Worte der Bibel – und die Schlagzeilen der vergangenen Woche: Gott ist unsere Zuversicht und StärkeGiftwolke über dem Donbass?Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt untergingePutin sieht „rote Linie“ überschrittenKommt her und schaut die Werke des Herrn, der den Kriegen ein Ende machtHinweise auf verdeckte Mobilmachung. So geht es hin und her. Je länger es dauert, desto schmerzhafter wird der Kontrast der Worte. Aber es ist beides da, beides wahr.

Jetzt, wo es in Richtung Urlaubszeit geht, wird der Widerspruch, in dem wir leben, auch jenseits der Kirchenmauern immer spürbarer: Badespaß an der Ostsee während das Schwarze Meer vermint wird. Ferienzüge hier, Flüchtlingszüge dort. Hier verbrannte Haut, dort verbrannte Erde. Auf der einen Seite Gewöhnung und Abstumpfung, auf der anderen Seite kaum ein Gespräch über Sommerpläne, in das sich nicht irgendwann ein sonderbarer Rechtfertigungsdrang einschleicht, eine Art Friedens- oder Wohlstandsscham. Nur wird kein Krieg dadurch enden, dass ich meinen Urlaub absage. Und so fahren wir am Ende natürlich doch.

Neu daran ist nicht, dass wir unser Leben so privilegiert leben, wie wir es eben tun, während anderswo Furchtbares geschieht. Das war nie anders. Aber seitdem der Krieg zurück nach Europa gekommen ist, können wir es kaum mehr verdrängen. Und so stehen wir neu vor der Aufgabe, zusammenzubringen, wie in einer Welt so verschiedene Dinge zur gleichen Zeit da sein können.

Ob Christen dazu besser gerüstet sind als andere, weiß ich nicht zu sagen. Aber sie haben 2000 Jahre Übung. Denn das Leben im Widerspruch ist in die DNA unseres Glaubens eingeschrieben. Gott stirbt am Kreuz – und ist doch allmächtig. Ich bin ein Sünder, beladen, bedrückt, verstrickt – und doch gerecht, erlöst, geliebt und befreit. Die Welt verzehrt sich im Krieg – und doch hat Christus ihr Frieden gebracht. Von außen betrachtet mögen dies leere Formeln sein. Wo Gott uns begegnet, werden diese Formeln plötzlich lebendig. Und so versammeln wir uns am Freitagabend, suchen Gottes Nähe, lernen gegen den Augenschein zu glauben – und gerade so der Wirklichkeit klarer ins Auge zu blicken.

Meine Hoffnung, dass unser Gebet allein der Ukraine Frieden bringt, ist gering. Aber es bewahrt mich sowohl davor, hilflos zu resignieren, als auch davor, den Kopf zu verlieren. Es gibt mir mit den Worten eines bekannten Gebets „die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Diese Gelassenheit, diesen Mut zur Tat und diese Weisheit wünscht uns allen

Ihr und Euer Pastor Konrad Otto