Propstei Lauenburg Demo "Wir sind nicht still": Propst ruft zu mehr Miteinander auf

Propst Philip Graffam richtete eindringliche Worte an die Teilnehmenden in Sandesneben. Copyright: Oliver Erckens

Sandesneben. 300 Menschen aus dem Herzogtum Lauenburg demonstrierten am Reformationstag (31. Oktober 2023) unter dem Motto "Wir sind nicht still" gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Propst Philip Graffam sprach auf dem Dorfplatz in Sandesneben zu den Teilnehmenden. Sein Beitrag im Wortlaut.

Die Rede von Philip Graffam 

Wir sind nicht still! Nein, das sind wir nicht - und wollen es auch nie sein. Ich bin hier und nehme sowohl als Propst, als auch als Christ und Bürger unseres Landes Stellung.

In meiner Rolle als Christ und engagierter Bürger unseres Landes empfinde ich es als eine moralische Pflicht, aktiv für die Wahrung und Förderung der Menschenrechte, gegen Diskriminierung und Rassismus einzustehen. Diese Überzeugung ist tief in meinem Glauben verwurzelt, der mir lehrt, dass jeder Mensch ein wertvolles Geschöpf Gottes ist, unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Stand. Die Würde eines jeden Menschen ist der Kern meines Glaubens und prägt mein Handeln immer wieder aufs Neue.

300 Teilnehmer demonstrieren in Sandesneben 

Warum ist mir als Christ die Flüchtlingshilfe so wichtig? Diese Frage begegnet mir oft, und sie berührt mich zutiefst. Die Bibel erinnert uns daran, wie essentiell es ist, Fremde zu empfangen und ihnen beizustehen. Und es gibt mehrere biblische Persönlichkeiten, deren Leben durch Flucht und Asyl geprägt wurden.

Abraham und Sarah wurden von Gott gerufen, ihre Heimat zu verlassen und in ein neues Land zu ziehen (1. Mose 12,1-4). Aufgrund von Hungersnöten flüchteten sie auch zweimal nach Ägypten (1. Mose 12,10 und 1. Mose 26,1). Abraham ist der Urvater der drei monotheistischen Religionen. Das Judentum, das Christentum und des Islams.

Mose wurde als Säugling von seiner Mutter in einem Korb aus Papyrusrohr am Nil ausgesetzt, um ihn vor der Verfolgung der ägyptischen Pharaonen zu schützen. Er wurde von der Tochter des Pharaos gefunden und aufgezogen (2. Mose 2,1-10).

Elia, ein Prophet Israels, musste vor der Rache von Königin Isebel fliehen. Er fand Zuflucht im Lande Zidon bei einer Witwe, die ihn beherbergte und versorgte (1. Könige 17,8-24).

David war lange Zeit auf der Flucht vor König Saul, der ihn verfolgte. Er suchte Zuflucht in Höhlen und bei den Philistern, bevor er schließlich zum König Israels gesalbt wurde (1. Samuel 19-30).

Maria, Josef und das neugeborene Kind Jesus flüchteten vor der drohenden Gewalt von König Herodes nach Ägypten, wo sie Asyl fanden (Matthäus 2,13-15).

Der Apostel Paulus flüchtete mehrmals vor Verfolgung. In Damaskus musste er durch eine Flucht im Korb von der Stadtmauer gerettet werden (Apostelgeschichte 9,23-25). Später flüchtete er auch aus Berea und Thessalonich (Apostelgeschichte 17,10-15).

Diese Beispiele zeigen, dass Flucht und Asyl nicht nur historische Realitäten sind, sondern auch in der Bibel eine bedeutende Rolle spielten. Sie verdeutlichen die Herausforderungen und Prüfungen, mit denen Menschen konfrontiert waren, sowie die göttliche Fürsorge und Schutz, der ihnen zuteil wurde. Persönlichkeiten, die zu Vätern und Müttern unseres Glaubens wurden. Es sind Erinnerungen an Menschen, die den Grundstein meines Verständnisses von Nächstenliebe und Solidarität bildeten.

Wir sind Teil einer globalen Gesellschaft

Unser Engagement als Kirche für Flüchtlinge entspringt einem tiefen Verständnis von Gemeinschaft. Es bedeutet, unsere Herzen zu öffnen und jenen beizustehen, die in ihrer Heimat keine Sicherheit und Geborgenheit finden. Denn ich glaube fest daran, dass wir alle Teil einer globalen Gemeinschaft sind.

Und diese, unsere Gemeinschaft ist keine abstrakte Idee, sondern eine lebendige Realität, die jeden Tag neu gestaltet wird. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, dass Menschen, die zu uns flüchten, nicht nur Schutz finden, sondern auch eine neue Heimat, in der sie sich entfalten können.

Es erfüllt mich mit tiefer Freude zu sehen, wie wir durch konkrete Projekte und Initiativen vor Ort, auch hier und besonders hier in Sandesneben, das Leben von Menschen verbessern können. Sei es durch Bildungsangebote, medizinische Versorgung oder einfach durch ein offenes Ohr und ein herzliches Willkommen.

Entschlossen und stark handeln 

Doch, wir müssen uns einer ernsten Tatsache stellen. Die bevorstehenden Kürzungen von Geldern für Migration und Integration und des Asylrechts seitens der Bundesregierung werden unsere Bemühungen vor große Herausforderungen stellen und sind meines Erachtens das völlig falsche Signal in einer so bewegten und von Krisen geschüttelten Zeit. Dies bedeutet, dass wir gemeinsam noch stärker und entschlossener handeln müssen. Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Einsatz für eine gerechte und inklusive Gesellschaft.

Ich gehöre einer Generation an, die auf eine lange Zeit des Friedens und toleranten Miteinanders in Deutschland und Europa zurückblicken kann. Diese 58 Jahre meines gesicherten Lebens verdanke ich einer starken Demokratie und gelebter Menschenrechte.

Doch ich weiß, dass so vielen Menschen weltweit dieses nicht vergönnt ist. Und so fühle ich mich dazu berufen, beizutragen diese Errungenschaften zu schützen und zu bewahren und an unsere Kinder und Kindeskinder weiterzugeben. Doch gleichzeitig trage ich eine besondere Verantwortung, in einer Welt, die von Konflikten und Spannungen gezeichnet ist, für Frieden einzustehen.

Solidarität mit allen notleidenden Menschen

Der verbrecherische Überfall des Aggressors Putin auf die Ukraine und der brutale und jedes Maß überschreitende Überfall der Hamas auf Israel, der zu den erschreckenden und traurigen Ereignissen im Nahen Osten führte, zeigen – wie brüchig unser Leben und dieser so wertvolle Frieden sein kann.

Meine Solidarität gehört den Menschen der Ukraine, Israel und allen notleidenden Menschen in der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten.

Unser Engagement für Menschenrechte, ein gutes Miteinander und für die Flüchtlingshilfe - das ist ein dynamischer Prozess, der uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Doch ich bin überzeugt, dass durch die Bündelung unserer Kräfte und im Vertrauen gedeihliches Miteinander und auf Gottes Segen wir einen bedeutenden Beitrag zu einer liebevolleren und gerechteren Welt leisten können. Möge unsere Gemeinschaft weiterhin von dieser überzeugenden Hoffnung getragen sein. Möge Gottes Segen auf unserem gemeinsamen Weg ruhen.