Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Die Welt ist in Aufruhr – ein Impuls von Propst Graffam

Krieg, Tod, Vertreibung, Eskalation von Gewalt: Die Welt ist in Aufruhr. Ein Impuls von Propst Philip Graffam. Copyright: Mohammed Ibrahim

Ein geistlicher Impuls von Philip Graffam, Propst im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg:

In diesen Tagen begegnen mir immer mehr Menschen, deren Herzen schwer sind. Wir spüren: Die Welt ist in Aufruhr. Der Krieg in der Ukraine dauert an, die Gewalt im Nahen Osten eskaliert, das globale Machtgefüge wirkt instabil – und viele fragen sich: Wohin steuert unsere Welt? Was trägt, wenn Sicherheiten wegbrechen?

Wohin steuert unsere Welt?

Ich bin in Äthiopien geboren, mein Vater war Amerikaner, meine Mutter war Deutsche. Ich habe den Frieden in Europa nie als selbstverständlich erlebt, sondern als Geschenk am Beispiel meiner Eltern, die nach dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg auf Ihre Liebe und nicht auf Ihren Schmerz setzten. Umso mehr erschüttert es mich, wie fragil dieser Frieden plötzlich wirkt. Es ist, als ob sich eine schmerzliche Unruhe in das Herz unserer Zeit gelegt hat.

Gerade in solch bedrohlichen Momenten sind wir als Christinnen und Christen gefragt, tiefer zu schauen. Nicht zu verdrängen oder zu beschönigen – sondern die Realität ernst zu nehmen und dennoch nach dem zu fragen, was bleibt.

In Johannes 16,33 spricht Jesus zu seinen Jüngern: 

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Das ist kein romantischer Satz. Jesus spricht ihn kurz vor seinem eigenen Leiden und Sterben. Er verschweigt die Angst nicht – er kennt sie. Und genau deshalb hat sein Trost Gewicht. Denn er ruht nicht auf menschlicher Stärke, sondern auf der göttlichen Verheißung, dass das Leben stärker ist als der Tod, dass Licht stärker ist als die Finsternis.

Theologisch gesprochen: Die Angst gehört zur conditio humana – zur menschlichen Grunderfahrung in einer gefallenen Welt. Aber sie hat im Glauben nicht das letzte Wort. Der christliche Trost ist kein bloßes Beruhigungsmittel. Er ist Widerstand – gegen das Chaos, gegen die Hoffnungslosigkeit, gegen das Gefühl von Ohnmacht.

Wir haben einen Grund, die Welt nicht ausschließlich als sinnlos zu betrachten. Wir haben einen Grund, unsere Welt und all die Menschen, die in ihr Leid erfahren, nicht aufzugeben. Und dieser Grund ist unser Glaube an Gottes liebevolle Zusage:

„Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage – bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20)

Der Professor für Dogmatik, Jörg Lauster, hat das einmal treffend formuliert:

„Christentum, das ist begründeter Weltwiderstand.“

Widerstand gegen die Sinnlosigkeit. Gegen die Resignation. Gegen die Versuchung, einfach wegzusehen oder sich innerlich zurückzuziehen. Und dieser Widerstand hat einen Grund: die Hoffnung, die im Evangelium gründet. Die Hoffnung, dass Gottes Reich mitten in dieser zerrissenen Welt aufblitzen kann – in jeder Tat der Barmherzigkeit, in jedem Wort der Versöhnung, im gemeinsamen Gebet, das Himmel und Erde verbindet.

Und ja – es ist nicht immer leicht, an dieser Hoffnung festzuhalten. Die Welt liefert auch Gründe, zu zweifeln. Und wir tun das manchmal. Auch das gehört zum Glauben.

Jesus verschweigt nicht, dass wir durch Ängste und Unsicherheiten gehen. Er kennt sie selbst. Als er am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schreit er seine Verlassenheit in den Himmel – und bleibt doch im Gespräch mit Gott. Er gibt die Beziehung nicht auf.

Diese Klagen, diese Zweifel – sie sind kein Abfall vom Glauben. Im Gegenteil. Sie sind Ausdruck einer Hoffnung, die sich nicht mit einfachen Antworten zufriedengibt. Einer Hoffnung, die in der Spannung lebt und trotzdem sagt: Ich halte an dir fest, Gott – selbst wenn ich dich gerade kaum spüre.

Glaube wird zum Raum 

Dabei ist wichtig: Leid ist nicht die Grundausrichtung christlichen Glaubens. Das Kreuz steht im Zentrum – aber nicht als Schlusspunkt. Die Passion Christi lehrt uns nicht, das Leid zu verherrlichen oder es zum Ziel unseres Denkens zu machen. Im Gegenteil: Sie öffnet den Blick auf eine Wirklichkeit, in der das Leid nicht das letzte Wort hat.
Die Auferstehung ist nicht nachträglicher Trost – sie ist Gottes Nein zum Tod und Gottes Ja zum Leben. Das heißt: Unser Glaube ruft uns nicht dazu auf, die Welt oder unser Handeln in Leid aufzulösen, sondern in Hoffnung, in Liebe, in Widerstand gegen das, was zerstört.

So wird der Glaube zum Raum, in dem wir nicht verdrängen müssen, was uns bedrängt – sondern es vor Gott bringen dürfen. Und darauf hoffen dürfen, dass seine Zusage neu aufleuchtet:

„Ich bin bei euch – alle Tage.“

Ich glaube: Gerade jetzt braucht unsere Welt Menschen, die in der Tiefe verwurzelt sind. Die wissen, dass Gott mitten in den Stürmen spricht. Dass Glaube nicht vor der Angst schützt – aber durch sie hindurchträgt.

Darum lade ich ein: Beten wir. Hören wir auf Gottes Wort. Und lassen wir uns immer wieder neu in die Nachfolge rufen – als Zeuginnen und Zeugen eines Friedens, den die Welt nicht geben kann, aber den sie so dringend braucht.

In Hoffnung verbunden, Philip Graffam