Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg "Er hatte das ganze Leben noch vor sich": Wenn das Kind durch Suizid stirbt

Das "Worldwide Candle Lighting" schafft eine Verbundenheit zwischen verwaisten Eltern und trauernden Familien auf der ganzen Welt. Carlyn Mathießen (l.) besucht eine der Trauergruppen für verwaiste Eltern bei Pastorin Mareike Hansen (r.). Copyright: Annkathrin Bornholdt

Lübeck. Worldwide Candle Lighting – unter diesem Motto werden weltweit am zweiten Sonntag im Dezember Kerzen für verstorbene Kinder angezündet. So verbindet eine „Lichterwelle“ die Trauernden durch die Zeitzonen. Auch in Lübeck findet am 14. Dezember 2025 eine Lichterwellen-Gedenkfeier statt. Beginn ist um 19 Uhr in der Kirche St. Lorenz.

Im Gottesdienst wird Carlyn Mathießen vom Verlust ihres ältesten Sohnes Liam erzählen. Sie besucht die Trauergruppe für verwaiste Eltern durch Suizid bei Pastorin Mareike Hansen vom Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg.

Liam kommt nicht wie vereinbart nach Hause

An einem Tag im Juni 2024 verlässt Carlyn Mathießens Sohn Liam mittags das Haus. Er hat an diesem Tag schulfrei und will sich mit seiner Freundin und seinem besten Freund treffen. „Es schien alles normal. Er sagte ‚Bis zehn‘ und ich sagte ‚Ja, Liam, aber nicht später!‘ – dann ist er auf seinen Roller gestiegen und losgefahren.“

„Nichts ist mehr, wie es mal war.“

Liam kommt an diesem Abend nicht um 22 Uhr nach Hause. Sein Handy ist aus. Die Eltern melden ihren Sohn schon kurz darauf als vermisst. Nach bangen Stunden des Wartens und Suchens klingelt gegen 1 Uhr nachts die Polizei mit einer Seelsorgerin an der Tür der Familie: „Da erfuhren wir, dass Liam tot ist und sich das Leben genommen hat. Seitdem ist nichts mehr, wie es mal war“, schildert die Mutter mit fester Stimme. 

Liam war Carlyn Mathießens ältester Sohn. Sie und ihr Mann haben noch zwei Töchter und vier Söhne. „Es ist noch immer sehr schwer. Viele denken, dadurch, dass ich noch sechs Kinder habe, wäre es einfacher. Aber das ist nicht so. Ich muss die Trauer der anderen Kinder mittragen." Der Alltag mit Schule, Kindergarten, Verabredungen und Sport-Terminen ging schon bald weiter. „Mir war wichtig, dass die Kinder wieder eine Normalität erleben“, so Mathießen. Ihre Kinder besuchen eine Trauergruppe, um den Verlust des Bruders zu verarbeiten.

Doch auch nach eineinhalb Jahren ist Liam immer präsent: „Jeden Abend um 22 Uhr warte ich darauf, dass er kommt. Es wird nie wieder so sein, dass wir uns als Familie komplett fühlen. Ich denke jeden Morgen, ich habe beim Wecken jemanden vergessen. Beim Essen bleibt meistens etwas für Liam übrig. Manche Tage sind besonders schwer.“ 

Austausch in der Trauergruppe für verwaiste Eltern 

Die Trauergruppe für verwaiste Eltern durch Suizid gibt Carlyn Mathießen die Möglichkeit, über ihren Sohn und ihren Verlust zu sprechen, auch wenn sie dort die Jüngste ist: „Liam war ja erst 15 – das macht es für mich besonders schwer. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Ich hatte die Verantwortung für ihn. Er hat bei mir gelebt und ich habe nicht mitbekommen, wie schlecht es ihm geht.“ 

Schämen möchte sie sich für das, was passiert ist, nicht, sagt sie: „Ich hätte mir nur gewünscht, früher zu wissen, wie oft Jugendliche durch Suizid sterben. Dafür möchte ich durch unsere Geschichte sensibilisieren.“ Suizid ist eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Menschen. „Wenn ich darüber spreche, tut es mir gut. Wenn Menschen mir zuhören, bin ich dafür dankbar. Ich möchte einfach nicht, dass Liam vergessen wird.“ 

Bisher habe sie in ihrem Umfeld überwiegend verständnisvolle Reaktionen und Mitgefühl erlebt. Es gab allerdings auch Verwandte, die sich von der Familie abwandten, weil sie mit dem Thema nicht umgehen konnten.

Was verbindet in der Trauer um ein Kind?

Was verbindet Eltern und Familien, die ein Kind gehen lassen mussten? Diese Frage steht im Mittelpunkt der diesjährigen Lichterwellen-Feier. Wie jedes Jahr wird die St.-Lorenz-Kirche in warmem Kerzenlicht erstrahlen. „Es ist beeindruckend, wie dieses Schicksal über kulturelle und Altersgrenzen hinweg eint und verbindet”, sagt Trauerseelsorgerin Mareike Hansen. „Aber auch die Verbundenheit zum verstorbenen Kind ist so wichtig. Diesen häufigen Satz ‚Jetzt musst du mal loslassen‘ sollte man nicht mehr sagen. Denn darum geht es gar nicht.”

Carlyn Mathießenwird im Gottesdienst sprechen: „Ich möchte mich an alle Familien wenden. Wir alle haben ein Kind verloren. Der Suizid soll nicht im Vordergrund stehen. Egal auf welche Weise, egal in welchem Alter – es ist einfach die falsche Reihenfolge, dass Kinder vor den Eltern gehen."

Alle Eltern und Angehörige sind herzlich eingeladen, ein Foto des Kindes sowie eine selbst gestaltete Kerze mitzubringen – auch wenn der Tod des Kindes schon lange zurückliegt. Während des Gottesdienstes werden die Namen aller Kinder einzeln genannt und auf kleine Sterne geschrieben, die anschließend auf einen großen Stoffsternenhimmel geheftet werden. 

Traubergleitung für verwaiste Eltern in Lübeck

Mareike Hansen ist Pastorin und psychodynamisch ausgebildete Seelsorgerin. Sie bietet für verwaiste Eltern Begleitung auf dem Weg der Trauer an. Sie hilft, Räume für die eigenen Gefühle zu öffnen, die Gemeinschaft in den Trauergruppen als Kraft zu erfahren und möchte unterstützen den ganz eigenen Weg in der Trauer zu finden. In Einzelgesprächen und Gruppentreffen ist eine Begleitung und eine unkomplizierte Terminvereinbarung möglich, die Begleitung ist religiös ungebunden und richtet sich auch an Trauernde, deren Verlust schon eine längere Zeit her ist.

Weitere Informationen zur Trauerbegleitung und zu den Trauergruppen für verwaiste Eltern und Sternenkinder-Eltern gibt es auf der Homepage und bei Pastorin Mareike Hansen unter der Telefonnummer 0176/19 79 02 98 und unter mhansen@kirche-ll.de.


Hilfe bei Suizidgedanken und in psychischen Krisen

Du bist nicht allein – es gibt Hilfe, auch wenn alles gerade aussichtslos erscheint oder dir die Situation unerträglich vorkommt. Es ist ein wichtiger Schritt, über deine Gedanken zu sprechen und Unterstützung zu suchen. Viele Betroffene, die sich Hilfe gesucht haben, berichten, dass sich ihre Situation dadurch spürbar verbessert hat.​

Was du jetzt tun kannst

  • Wenn du in einer akuten Krise bist oder deine Gedanken sehr bedrängend sind, rufe sofort den Notruf unter 112 an oder gehe direkt in die Notaufnahme einer psychiatrischen Klinik.​

  • Bei Gesprächsbedarf kannst du dich anonym und kostenfrei rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (0800 111 0 111, 0800 111 0 222 oder 116 123) – auch per Chat oder E-Mail.​

  • Auch die Nummer gegen Kummer (116 111) kannnst du anonym und kostenlos anrufen und bekommst Hilfe. Es gibt auch eine Online-Beratung.

  • Auch beim Krisenchat findest du professionelle Hilfe.

  • Du kannst dich auch an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 wenden oder Ansprechpartner:innen in einer psychiatrischen Ambulanz, psychosozialen Beratungsstelle oder beim sozialpsychiatrischen Dienst deiner Stadt kontaktieren.​

Sei offen für Unterstützung

Die Gedanken, dich zurückzuziehen oder dich als Belastung zu empfinden, gehören oft zu einer psychischen Krise – sie sind ein Zeichen dafür, dass du Hilfe brauchst, nicht dass du versagt hast. Es gibt Menschen, die dich ernst nehmen und dir zur Seite stehen wollen, um gemeinsam mit dir einen Weg aus der Krise zu finden.