Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Holocaust-Gedenktag: Eine Geschichte aus der Nachbarschaft

Lübeck Pröpstin Petra Kallies gedenkt den Opfern des Holocaust. Copyright: Bastian Modrow

In unserer Nachbarschaft haben sie gewohnt: die Frauen, Männer und Kinder, deren Namen auf den Stolpersteinen zu lesen sind. Überall in Deutschland erinnern die Inschriften auf den kleinen Bronzetafeln an Menschen, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden. Zum Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, möchte ich Ihnen von einer Frau aus meiner unmittelbaren Nachbarschaft erzählen.

Ein Stolperstein erinnert an Betty Ohmann

Mitten auf der Straße muss man sich vor ihnen verneigen. Nur so lassen sich die Namen auf den Stolpersteinen lesen. Sie werden verlegt vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnort der Opfer des Nationalsozialismus. In Sichtweite unserer Kirchenkreisverwaltung in Lübeck erinnert der Stolperstein an Betty Ohmann, geb. Giesen. 1864 wurde sie in Berlin geboren. 44 Jahre lang hat sie hier in der Klosterstraße gewohnt, viele Jahre mit ihrer Familie, dann mit ihrem Mann und schließlich als Witwe.

Die gebürtige Berlinerin lebte in Lübeck

Betty Ohmann entstammte einer jüdischen Familie und sie war Schriftstellerin. 1902 ließ sie sich taufen. Ihr Mann Carl war Buchhändler und Inhaber einer Literaturagentur. Er war Mitglied der Gemeinnützigen Gesellschaft Lübecks. Er verstarb 1928. Sie hatten drei Töchter: Margarethe, Else und Luise.

Die Schriftstellerin erkannte früh die Gefahr

Betty Ohmann hat sehr früh erkannt, dass die Machtübernahme der Hitlerpartei bedrohlich für sie und auch für ihre Töchter werden könnte. 1934 mussten ihre Tochter Luise und deren Mann Reinhold ihren Gartenbaubetrieb schließen, weil Luise als „Halbjüdin“ diskriminiert wurde. Reinholds Vater war Pastor am Dom gewesen, doch das was für die Nazis bedeutungslos.

Nazis deportierten sie nach Theresienstadt

1942, als Betty Ohmann 79 Jahre alt war, wurde sie zusammen mit rund 800 anderen, zumeist älteren Menschen jüdischer Abstammung, mit der Bahn über Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Offiziell war die Rede von einer Unterbringung in einem Altersheim in Böhmen – und möglicherweise hatte auch Betty Ohmann für diese „Heimunterbringung“ im Voraus Geld bezahlen müssen. Die Menschen wurden gezwungen, Postkarten an die Angehörigen zu schicken: „Mir geht es gut. Es ist schön hier!“

Zwei Jahre ertrug Betty Ohmann das Leid 

In Wahrheit kamen zu diesem Zeitpunkt vor allem ältere Menschen in Theresienstadt an. Das Ghetto war vollkommen überfüllt, die Menschen konnten nur noch in Kellern, Höfen, Hauseingängen und Dachböden untergebracht werden. Zwei Jahre lang ertrug Betty Ohmann, eine alte Dame, Kälte, Hunger, Schmutz und Krankheiten. Mit 81 Jahren starb sie am 17. April 1942.

Seit 2013 gibt es einen Stolperstein

Jahrzehntelang gab es keinen Ort der Erinnerung an sie. Als dieser Stolperstein 2013 verlegt wurde, sagte eine ihrer Urenkelinnen: „… nun endlich: ein kleiner Stein. Ein Stolperstein. Ein Gedenkstein. Ein Ruhestein. Eine traurige, aber beruhigende Erinnerung – und ein gutes Gefühl…“ Ein gutes Gefühl? Ja, weil der Name eines Menschen, der ausgelöscht werden sollte, auch in der Erinnerung, wieder da ist. Weil der Name Betty Ohmann einen Ort hat in unserer Mitte.

Messingtafeln erinnern an unermessliches Leid 

Die Stolpersteine wollen uns gedanklich aus dem Tritt bringen. Sie erinnern an unermessliches Leid. Sie erinnern an unfassbares Unrecht, das verübt wurde im Geiste einer Ideologie, die damals Hass schürte und es heute wieder tut. Die zur Gewalt gegen Andersdenkende aufruft und Morde verübt. Die Rücksichtslosigkeit propagiert und Menschen gegen ihre Nachbarn aufwiegelt.

Nazis schüren auch heute noch Hass

Wie immer man heute zum Impfen stehen mag: Zu den neuen Nazis stellt man sich nicht! Mit denen demonstriert man nicht! Die verharmlost man nicht! Von denen distanziert man sich! Und denen widerspricht man! Anderes ist mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren.

Verneigung vor den Opfern des Nationalsozialismus

Am 27. Januar verneigen wir uns vor den über 10 Millionen Männern, Frauen und Kindern, denen der Nationalsozialismus das Leben nahm. Wir ehren ihre Namen. Wir gedenken auch der Opfer rechter Gewalt in der Bundesrepublik. Ein Moment der Stille.

 

Das "Mutwort" als Video

Das "Mutwort" von Lübecks Pröpstin Petra Kallies können Sie auch als Video ansehen. Den Film finden Sie hier auf dem YouTube-Kanal des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg. 

Das Projekt "Stolpersteine"

In Lübeck wurden seit 2003 insgesamt 225 Stolpersteine verlegt. Weitere Informationen und Hintergründe finden Sie hier. Im Herzogtum Lauenburg erinnert seit 2013 der erste Stolperstein in Ratzeburg an Opfer des NS-Regimes. Eine Übersicht gibt es hier. Das Projekt Stolpersteine gibt es seit 1993. Es will die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft lebendig halten und an jüdische Menschen, die vertrieben und ermordet wurden, an Sinti und Roma, an politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas sowie an Euthanasieopfer erinnern.

 

In der Klosterstraße in Lübeck erinnert ein Stolperstein an die jüdische Schriftstellerin Betty Ohmann.