Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Kirche im Kontext: Propst bringt Antrag bei Landessynode ein

Propst Philip Graffam spricht bei der Landessynode in Travemünde (21. November 2025). Copyright: Bastian Modrow

Lübeck/Ratzeburg. Der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Sinkende Mitgliederzahlen, schrumpfende Einnahmen und der zunehmende Fachkräftemangel fordern ein Umdenken. Ziel ist es, die kirchliche Arbeit zukunftssicher zu gestalten – mit weniger Gebäuden, dafür mehr inhaltlichem Fokus. Der Transformationsprozess „Expedition Kirche“ will Antworten auf diese Entwicklungen finden. Mit der Vision „Kirche im Kontext“ wird ein strukturverändernder Lösungsansatz vorgestellt, der stärker auf kontextbezogene, lebendige kirchliche Ausdrucksformen setzt. 

Die Kirchenkreis-Synode hat Ende Juni 2025 einen Antrag an die Landessynode der Nordkirche formuliert - mit der Bitte um Prüfung, ob es kirchenrechtlich möglich wäre, dass die Kirchenkreis-Synode beschließen könnte, dass der Kirchenkreis Rechtsnachfolger aller zu diesem Kirchenkreis gehörenden Kirchengemeinden mit dem Übergang sämtlicher Rechte und Pflichten der Kirchengemeinden werden könnte.

Propst Philip Graffam brachte den Antrag jetzt (21. November 2025) mit einem Redebeitrag  in der Landessynode in Travemünde ein. Sein Impuls im Wortlaut.

Der Redebeitrag von Propst Graffam im Wortlaut  

"Der Prüfantrag „Kirche im Kontext“ aus dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg hat in den letzten Wochen viele Wellen geschlagen. Er hat Zustimmung, Irritation, Widerspruch – und vor allem: leidenschaftliche Diskussion ausgelöst. Manche sprechen von einer radikalen Idee, andere von einem großen Wurf, wieder andere von einem Irrweg. Und ehrlich gesagt – genau das ist gut so. Denn wenn ein Antrag so unterschiedliche Reaktionen hervorruft, dann zeigt das:
Hier geht es an den Kern der Sache. Hier geht es um etwas, das uns alle betrifft. Hier geht es um die Frage, wie wir Kirche Jesu Christi in einer sich rasant verändernden Welt gestalten können.

Die Ausgangslage kennen wir alle – und sie ist ernst. Unsere Kirche verliert an Mitgliedern, an Bindung, an Relevanz. Im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg verlieren wir jährlich etwa 5.000 Mitglieder – durch Austritte, Wegzüge und den Wandel unserer Gesellschaft. Bis Mitte der 2040er-Jahre wird sich die Zahl unserer Mitglieder vermutlich halbieren.

Und das bedeutet: Auch unsere Einnahmen, unsere hauptamtlichen Kräfte, unsere Gebäude werden sich stark reduzieren. Wir werden also mit weniger als der Hälfte dessen auskommen müssen, was uns heute selbstverständlich erscheint.

Liebe Synodale, das ist keine Lübeck-Lauenburger Besonderheit – Sie erleben es in Ihren Kirchenkreisen ähnlich. Wir alle stehen vor denselben Herausforderungen. Diese Entwicklung betrifft uns gemeinsam.

Keine Besonderheit von Lübeck-Lauenburg

Wir wollen für die Menschen da sein, die wir heute erreichen – und wir wollen zugleich aufbrechen zu denen, die sich von Kirche entfernt haben. Wir wollen glaubwürdig, lebensnah und zukunftsfähig Kirche sein. Wir wollen, wir hoffen und wir müssen wieder Kirche sein, die für die Menschen zählt – aus Überzeugung, aus Sehnsucht und aus Verantwortung. Aber: wir können das nicht mehr auf die gleiche Weise tun wie bisher. 

„Dass alles so bleibt, wie es ist“ – das ist keine Option mehr.

Wenn wir einfach weitermachen wie bisher, wird das spürbare Folgen haben: Gemeinden werden kleiner, Angebote dünner, Gebäude leerer. Immer mehr Aufgaben werden auf immer weniger Schultern lasten.

Wir würden nicht gestalten, sondern nur noch verwalten – getrieben von Zwängen statt geleitet von unserem Auftrag. Genau das wollen wir vermeiden.

“Weiter so” ist keine Option 

Ich hadere dann mit Veränderung, wenn ich es mir in meiner gewohnten Sicherheit eingerichtet habe – im Glauben, dass das, was ich einmal erreicht habe oder was mir geschenkt wurde – mir nun für alle Zeiten gehört. Aber Kirche ist kein Besitz, den wir bewahren können, sondern eine Bewegung, die sich wandelt, um lebendig zu bleiben.

Darum geht es im Prüfantrag „Kirche im Kontext“: Er will und kann darauf keine fertige Antwort geben. Er will klären, ob und wie ein anderer Weg rechtlich möglich wäre. Er ist kein Beschluss zur Umsetzung, sondern eine Bitte um Klärung – eine Bitte an die Landessynode, zu prüfen, ob die vorgeschlagene Struktur denkbar und kirchenrechtlich zulässig ist.

Worum geht es dabei?
Es geht um den Versuch, die inhaltliche, die geistliche und die strukturelle Seite unserer Kirche neu miteinander zu verbinden.

Erstens – um eine inhaltliche Neuausrichtung:

Kirche soll sich stärker an den Lebenswelten der Menschen orientieren.
Wir wollen Kirche sein, die zu den Menschen geht: in Schulen und Pflegeheime, auf Marktplätze, in digitale Räume, auf Festivals – dorthin, wo Menschen wirklich leben.
Weniger statisch, weniger gebäudebezogen, dafür beweglicher, kontextbezogener, lebendiger.

Zweitens – um eine veränderte Haltung:

Wir werden diese Herausforderungen nur bewältigen, wenn wir aufhören, in Abgrenzungen zu denken – Kirchengemeinde hier, Kirchenkreis da, Dienst oder Werk dort.
Wir sind eine Kirche. Wir haben einen Auftrag. Wir brauchen den Mut, Verantwortung gemeinsam zu tragen, statt uns in Zuständigkeiten zu verlieren.

Und drittens – um eine tragfähige Struktur:

Wir müssen Entscheidungswege schaffen, die es ermöglichen, über Finanzen, Gebäude und Personal solidarisch und verbindlich zu entscheiden. Denn im Moment passiert vielerorts das Gegenteil: Strukturen lähmen uns. Notwendige Entscheidungen werden verschoben, weil niemand sie allein tragen will.

Darum schlägt das Modell „Kirche im Kontext“ vor, den Körperschaftsstatus neu zu ordnen – nicht als theologisches Programm, sondern als rechtliches Instrument. Dabei wollen wir an der Dreigliedrigkeit unserer Kirche festhalten – mit Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirche als klar erkennbaren Ebenen.

Aber wir wollen die rechtliche Form neu denken: nicht jede Gemeinde muss Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. Künftig könnten Gemeinden als Körperschaften kirchlichen Rechts bestehen – eingebettet in einen Kirchenkreis, der als Körperschaft öffentlichen Rechts die gemeinsame Verantwortung trägt. 

Der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg soll die rechtliche und administrative Trägerschaft übernehmen, um handlungsfähig zu bleiben und Entscheidungen treffen zu können, die über den Horizont einzelner Kirchengemeinden hinausreichen.

Kirchengemeinden, thematische Profile oder Initiativen behalten dabei ihre inhaltliche Eigenständigkeit – auch wenn sich organisatorische Strukturen oder Grenzen verändern können. Sie tragen weiterhin Verantwortung für ihre Arbeit vor Ort: für Gottesdienste, Seelsorge, Musik, Bildung und Diakonie.

Kirche lebt aus dem Glauben - nicht aus ihrer Rechtsform

Wichtig ist mir dabei eine theologische Klarstellung:
Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein Wesensmerkmal der Kirche. Sie ist eine Organisationsform, die uns der Staat gewährt – eine hilfreiche, rechtlich starke Form, ja, aber nicht das, was Kirche im Kern ausmacht. Kirche lebt nicht aus ihrer Rechtsform, sondern aus dem Evangelium, aus dem Glauben, der in Gemeinschaft Gestalt annimmt.

Die Körperschaft ist Werkzeug – nicht Wesen. Sie dient der Kirche, sie definiert sie nicht. Und wenn eine bestimmte rechtliche Form uns einmal mehr lähmt als hilft, dann müssen wir sie verändern können – damit sie dem Auftrag der Kirche wieder dient.

Darum: Dieser Antrag will keine Kirche „verstaatlichen“ oder „verwalten“, sondern er sucht Wege, wie wir – trotz schwindender Ressourcen – weiter Kirche sein können, die zu den Menschen geht. Eine Kirche, die ihre Gestalt verändert, damit ihr Auftrag bleiben kann.

Ein Erkundungsauftrag im Rahmen unserer Expedition

Liebe Synodale,
dieser Prüfantrag ist ein Erkundungsauftrag im Rahmen unserer Expedition Kirche. Er will klären, ob das Modell „Kirche im Kontext“ rechtlich denkbar ist – und unter welchen Bedingungen. Er ist kein fertiges Konzept, sondern ein Impuls, weiterzudenken – theologisch, rechtlich, strukturell.

Und ja – er fordert uns heraus. Denn er verlangt, dass wir die gewohnten Wege verlassen,
dass wir loslassen, was uns lieb geworden ist, um Raum zu schaffen für das, was kommen muss.
Und wir gehen diesen Weg im Vertrauen darauf, dass Gott selbst unter uns wirkt –
dass er uns leitet, wo unsere eigenen Möglichkeiten enden, und dass er Wege öffnet, die wir allein nicht sehen könnten.

Ich bin überzeugt: Wenn wir diesen Mut aufbringen, wenn wir ehrlich miteinander ringen,
dann kann diese Expedition Kirche ein Weg werden – kein leichter, aber ein notwendiger.

Darum bitte ich Sie: Geben Sie diesem Prüfantrag Ihre Zustimmung – nicht, weil er alle Fragen beantwortet, sondern weil er uns erlaubt, sie endlich gemeinsam zu stellen. Lehnen Sie ihn nicht ab, bevor wir wirklich wissen, ob und welche Alternativen uns als evangelische Kirche im Norden bleiben.

Damit wir herausfinden, welche Wege uns offenstehen, um als evangelische Kirche im 21. Jahrhundert weiter glaubwürdig, lebendig und hoffnungsvoll Kirche Jesu Christi zu sein.

So hat die Landessynode entschieden

Unabhängig von den Bestrebungen des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg hat auch die Kirchenleitung der Nordkirche einen Zukunftsprozess angestoßen. Eckpunkte wurden auf der Sitzung in Travemünde vorgestellt. Nach ausgiebiger Diskussion beschloss die Landessynode mehrheitlich, die Kirchenleitung und das Landeskirchenamt zu bitten, unter Berücksichtigung des Prüfantrags des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, ihr bis November 2026 den Entwurf für ein „Kirchengesetz zur Neuordnung der kirchlichen Körperschaften“ zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen.