Lübeck. Hoch oben über den Dächern Lübecks wachen sie – die Wetterhähne auf den Türmen der fünf großen Altstadtkirchen. Kaum jemand sieht sie aus der Nähe, doch seit Jahrhunderten trotzen sie Wind, Wetter und Blitzen, drehen sich im Sturm und fangen das Licht des Himmels ein. Der Wetterhahn ist mehr als ein schmückendes Beiwerk: Er ist ein uraltes Symbol, das christliche und volkstümliche Vorstellungen miteinander verbindet.
Symbol des Schutzes und der Wachsamkeit
Der Hahn galt seit jeher als Beschützer gegen Gewitter, Sturm und Dämonen. Als Orakeltier konnte er das Wetter voraussagen, und in der Volksmedizin schrieb man ihm besondere Kräfte zu. Auch als Opfertier war der Hahn bekannt – in Lübeck etwa als „Roggen-Hahn“, der vor der Ernte geopfert wurde, um Segen und Fruchtbarkeit zu erbitten.
In der christlichen Symbolik erinnert der Hahn an die Worte Jesu an Petrus: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Zugleich aber kündigt sein Krähen den Morgen an – das Licht, das die Dunkelheit mit ihren Teufeln und Geistern vertreibt. So wurde der Hahn zum Zeichen der Wachsamkeit, der Erneuerung und der Hoffnung auf das Licht Christi. Seit dem 9. Jahrhundert ziert er deshalb die Kirchtürme Europas – als Wächter über die Stadt, als Mahner und Segensbringer zugleich.
St. Marien zu Lübeck
Beide Wetterhähne von St. Marien stürzten in der Palmsonntagnacht 1942 beim Einsturz der Türme herab. Nur einer konnte später in den Trümmern der Altstadt geborgen werden und befindet sich heute im Lapidarium der Kirche. Beide Hähne wurden nach dem Wiederaufbau der Türme erneuert. Sie bestehen aus verstärktem Kupfer und erinnern an Zerstörung und Wiedergeburt – und an den Mut, den Glauben buchstäblich neu auf die Spitze zu treiben.
St. Petri zu Lübeck
St. Petri zu Lübeck trägt auf seiner Turmspitze ebenfalls einen Wetterhahn aus Kupfer, der nach schweren Kriegsschäden 1950 erneuert wurde. Er steht sinnbildlich für die Wiederauferstehung der Kirche – und der Stadt – nach dem Krieg.
Dom zu Lübeck
Der Dom zu Lübeck trägt zwei Wetterhähne, die beide nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert wurden. Die Doppeltürme des Doms rahmen sie wie zwei metallene Wächter ein, die über Stadt, die Trave und die Wakenitz wachen. Ihre kupferne Haut hat im Laufe der Jahrzehnte eine charakteristische Patina angenommen – Sinnbild für den Glauben, der die Zeiten überdauert.
St. Aegidien
Der kleinste der fünf Altstadttürme trägt einen besonders zierlichen Wetterhahn aus Kupferblech. Manch eine Person, die ihn von unten betrachtet, will sogar ein Eichhörchen oder Seepferdchen erkennen. Trotz seiner bescheideneren Größe erfüllt der Kirchturm-Hahn die gleiche Aufgabe wie seine Nachbarn: Er verkündet mit seiner wachsamen Haltung den Schutz und Segen über Stadt und Menschen.
St. Jakobi
Kaum ein Lübecker Hahn hat so viel erlebt wie der von St. Jakobi. Bereits 1628 war der Turm baufällig; 1657 erhielt er eine neue Spitze – und 1658 wieder einen Hahn. Doch der Schutz hielt nicht ewig: Im 18. Jahrhundert brannte der Turm, 1901 schlug der Blitz ein – der Hahn stürzte herab. Beim Wiederaufbau wurde er erneut aufgesetzt, versehen mit einer Gravur, die bis heute vom Stolz und Glauben der Handwerker zeugt:
„Erneuert von P. Ruperti, Kupferdeckermeister 1901.
Verstärkt von P. Ruperti Novb. 12. 1924 und wieder aufgesetzt.
Gehülfen waren Hans Ruperti, J. Honert, A. Wiechmann, O. Buuck, R. Martens, Arbeiter W. Scharnweber, Lehrling Hans Hamdorf, Bauwart W. Behnke, Bauaufseher.
Gott segne das Handwerk und schütze die Kirche vor allen Gefahren.“
Derzeit befindet sich der Jakobi-Hahn nicht auf seiner gewohnten Höhe: Wegen Schäden an der Turmspitze musste er abgenommen werden. Nun steht er auf festem Boden – und kann von Besuchenden aus nächster Nähe betrachtet werden. Ein seltener Moment, in dem der Wächter über den Dächern Lübecks auf Augenhöhe zu erleben ist.
Über die Erschaffer
Tatsächlich ist über die ursprünglichen Erschaffer der Lübecker Wetterhähne nur wenig bekannt. Ihre Namen sind, anders als die ihrer Bauherren oder Architekten, kaum überliefert. Doch ihre Werke haben über Jahrhunderte Wind, Wetter und Geschichte überdauert – und bleiben damit stille Zeugen des Handwerks und des Glaubens, die Lübecks Türme bis heute prägen.
So wachen sie weiter – die Hähne von St. Marien, St. Petri, dem Dom, St. Aegidien und St. Jakobi. Sie trotzen Wind und Wetter, tragen den Himmel über die Stadt und erinnern uns daran, dass Wachsamkeit, Hoffnung und Erneuerung nicht nur Worte, sondern gelebte Symbole sind – fest verankert aus Kupfer über Lübeck.