Luther: Gedenken im Gottesdienst an Waltraut Kienitz, 08.01.2017

Waltraut Kienitz, die letzte noch lebende Tochter von Karl Friedrich Stellbrink, ist am 28. Dezember 2016 im Alter von 88 Jahren verstorben. Am kommenden Sonntag (08.01.2017) wird um 10 Uhr im Gottesdienst der Lutherkirche ihrer besonders gedacht.

Waltraut Kienitz (geborene Stellbrink), die letzte noch lebende Tochter von Karl Friedrich Stellbrink, ist am 28. Dezember 2016 im Alter von 88 Jahren verstorben. Die Beisetzung erfolgt in Heusenstamm bei Frankfurt. Am kommenden Sonntag (08.01.2017) wird um 10 Uhr im Gottesdienst der Lutherkirche (Moislinger Allee 96) ihrer besonders gedacht.

Mit der Kirchengemeinde Luther-Melanchthon und besonders mit „ihrer“ Lutherkirche mit der Gedenkstätte für die  vier Lübecker Märtyrer war sie eng verbunden. Ihr Vater Karl Friedrich Stellbrink war Pastor an der Lutherkirche, als er zusammen mit drei katholischen Kaplänen 1943 von den Nationalsozialisten hingerichtet worden war (siehe Hintergrund). Sie selbst war damals 15 Jahre alt, das jüngste von vier Kindern. „Sie ist alljährlich im November nach Lübeck gereist, um an den Gottesdiensten in der Lutherkirche und in der Herz-Jesu-Kirche teil zu nehmen“, erinnert sich Constanze Oldendorf, Pastorin der Kirchengemeinde Luther-Melanchthon.

Seit Beginn der 1980er Jahre hat sie aktiv im „Ökumenischen Arbeitskreis 10. November“  im Gedenken an die vier Lübecker Märtyrer teilgenommen. „Das ökumenische Gedenken hat Waltraut Kienitz als wichtigstes Vermächtnis ihres Vaters empfunden“, erinnert sich Dr. Karen Meyer-Rebentisch, Projektleiterin der Gedenkstätte. Bis 2012 hat Frau Kienitz  im Rahmen des Gedenkens der vier Lübecker Märtyrer besondere Führungen durch die Ausstellung in der Lutherkirche geleitet. „Dabei konnte sie einfühlsam und mit wachen Erinnerungen erzählen.“

2017 01 04 Stellbrink Tochter 3In den letzten Jahren war es ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich, die anstrengende Reise von Heusenstamm nach Lübeck auf sich zu nehmen. „In Gedanken war sie dabei, kritisch, mahnend und fördernd auch, in ihrer freundlichen Art“, so Constanze Oldendorf. Den Nachlass Ihres Vaters hatte sie 2015 dem Stadtarchiv Lübeck überreicht. „Wir werden Ihre lebendigen Erzählungen vermissen und sind dankbar, sie in Gottes guter Hand zu wissen.“

Im Gottesdienst der Lutherkirche am Sonntag, dem 08.01.2017 wird der letzten Tochter von Karl Friedrich Stellbrink ehrend gedacht. Der Gottesdienst in der Moislinger Allee 96 beginnt um 10 Uhr.

Hintergrund Lübecker Märtyrer

Am 10. November 1943 wurden die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller zusammen mit dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink von den Nationalsozialisten hingerichtet. Über konfessionelle Schranken hinweg hatten die vier Geistlichen ihr Wort gegen die Christusfeindlichkeit, Terror und Unmenschlichkeit des NS-Regimes erhoben. Stellbrink war zu dieser Zeit Pastor an der Lutherkirche in Lübeck.

Am 25. Juni 2011 wurde die Seligsprechung von Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller mit mehreren 1000 Menschen auf der Parade in Lübeck vollzogen. Auch Waltraut Kienitz war damals anwesend. Dabei wurde des evangelischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink ehrend gedacht. Die Lübecker Lutherkirche ist heute Gedenkstätte für die  Lübecker Märtyrer des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg und der Nordkirche.

 

Erinnerungen an Waltraut Kienitz

Sie erinnerte sich oft an das lebendige Leben in einer großen Familie mit einem strengen, aber heiteren Vater, der sich sehr dafür engagierte, dass seine Kinder kulturell umfassend gebildet wurden. Zum Alltagsleben gehört auch der große Garten am Pfarrhaus, der vor allen von der Mutter und den Töchtern bestellt wurde. „Wir hatten alles im Garten, was in Norddeutschland wuchs.“ Die Pastorenkinder spielten auf dem großen Grundstück und schlichen sich auch auf das Nachbargrundstück der Zimmerei Schildknecht, wo sie sich zwischen den Baumaterialien versteckten oder auf den Hölzern balancierten. Heute ist dort der Luther-Kindergarten.

Als Gymnasiastin besuchte Waltraut Stellbrink die Ernestinenschule. Ihre Schulfreundin Magdalene von de Berg stammte aus einer streng katholischen Familie. Auch die Eltern von de Berg und Stellbrink freundeten sich miteinander an und verkehrten gesellschaftlich. Vater Jakobus von de Berg versprach Karl Friedrich Stellbrink kurz vor der drohenden Inhaftierung, sich um Tochter Waltraut kümmern zu wollen. Bis zum Kriegsende saß Waltraut so später immer wieder am Mittagstisch der Familie von de Berg.

Kurz nach dem Bombenangriff auf Lübeck an Palmarum und nach der Verhaftung des Vaters erhielt die Familie Einquartierung im Pfarrhaus, eine Familie aus der Dankwartsgrube zog ein. Nach Kriegsende wurde eine Pastorenfamilie einquartiert und ab Sommer 1945 teilte sich die siebenköpfige Familie von Pastor Gülzow mitsamt Hausmädchen das Pastorat mit der Stellbrink-Familie. Als Bruder Gerhard Stellbrink aus der Gefangenschaft zurück gekommen war, beschloss die Mutter Hildegard Stellbrink, die Urne ihres Mannes anzufordern und in der Lutherkirche beizusetzen, was die Lübeckische Landeskirche, nicht aber die Luthergemeinde unterstützte.

1951 hat Waltraut Kienitz geheiratet. Sie hat zunächst noch gearbeitet, dann aber hat sie wegen Kinderwunsch mit der Arbeit aufgehört. Nachdem sich keine eigenen Kinder einstellten, hat das Ehepaar Kienitz drei Kinder adoptiert. Diese Kinder wurden über den Hamburger Gefängnisgeistlichen Enke vermittelt. Frau Stellbrink hatte sich mit Frau Enke angefreundet.

Seit den 1980er Jahren war sie aktiv im Ökumenischen Arbeitskreis 10. November im Gedenken an die vier Lübecker Märtyrer. Das ökumenische Gedenken hat Waltraut Kienitz als wichtigstes Vermächtnis  ihres Vaters empfunden.

zusammengestellt von Pastorin Constanze Oldendorf und Dr. Karen Meyer-Rebentisch

Zitat Waltraut Kienitz von 2005:

„Seit Ende des 2. Weltkrieges hat ein zunächst kleiner Kreis in der Lübecker katholischen Gemeinde ihrer drei im Jahre 1943 hingerichteten Priester Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek jeweils am 10. November, dem Hinrichtungstag, in einer Messfeier gedacht. Sie haben von Anfang an den gemeinsam mit diesen Geistlichen angeklagten und am selben Tage und zur selben Stunde hingerichteten evangelischen Pfarrer, Karl Friedrich Stellbrink, meinen Vater, in das Gedenken mit ein bezogen. Meine Mutter und wir Geschwister bekamen jedes Jahr eine persönliche Einladung. Ja, unsere Familie wurde sogar eine Weile in den offiziellen Verteilerschlüssel der Caritas mit aufgenommen, die seinerzeit Care-Pakete erhielt. Dass dabei einmal als Adresse „St. Luther“ angegeben war, mag als amüsanter Lapsus angesehen werden, da doch die meisten Kirchen in Lübeck mit Sankt beginnen: Sankt Marien, Sankt Jacobi, Sankt Katharinen usw.“

Bildunterschriften:
Foto 1: Waltraut Kienitz und Enkelin Anke Laumayer bei der Seligsprechung im Jahr 2011

Foto 2: Stellbrink-Enkelin Anke Laumayer (links), Waltraut Kienitz und Regina Pabst bei der Seligsprechung im Jahr 2011

Foto 3: Waltraut Kienitz (Mitte), rechts Gerhard Nürnberg, links Regina Pabst vom Ökumenischen Arbeitskreis 10. November am Tag der Seligsprechung vor der "Märtyrerkerze" im Jahr 2011