Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Oliver Erckens Vision: Wenn ich in zehn Jahren durch Lübeck gehe...

Oliver Erckens sprach zu den Synodalen über seine Vision für die Zukunft der Kirche in Lübeck. Copyright: Lena Modrow

Lübeck. In der Wahlsynode am 15. November 2025 hatten beide Bewerber:innen noch einmal die Möglichkeit, zehn Minuten lang vor den Synodalen zu sprechen - über ihre Motivation, sich für das höchste kirchliche Amt im Kirchenkreis zu bewerben. Der Impuls von Lübecks zukünftigem Propst Oliver Erckens in Auszügen:  

Der Impuls in Auszügen

Vor 20 Jahren saß ich in meiner Studentenwohnung in Rostock. Eine unsanierte Plattenbauwohnung zwischen Innenstadt und Küste. Etwas zugig, ohne Heizung im Bad, aber meine ersten eigenen vier Wände und daher unvergessen. Dort dachte ich nach drei Semestern Jura-Studium über mich und mein Leben nach. Zum ersten Mal stellte ich mir ernsthaft die Frage nach meiner beruflichen Zukunft. Ich habe mich für so ziemlich alles und jeden interessiert und das machte die Berufswahl so schwer. 

Zurückgeworfen auf mich, kam die Idee: Was wäre, wenn ich Pastor werde? Was gibt es für einen Beruf, der so vielfältig ist? 

Ich telefonierte viel. Mit meinen Eltern, mit Freunden und natürlich mit meiner Großmutter, die mir immer eine gute Ratgeberin war. Auch wenn es in meiner Familie eine überraschende Option war, wurde mir viel Mut gemacht, Pastor zu werden. Damit begann für mich ein großes Abenteuer mit unendlich vielen Entdeckungen über Gott und die Welt. 

Dass ich heute hier stehe, hätte ich mir damals nicht träumen lassen. 

Denn ich bin gewachsen: Im Vertrauen darauf, dass Gott mich und uns ansieht, begleitet und stützt. Und ich habe entdeckt, wie für mich Nachfolge Jesu Christi aussieht. In seinem Mut so neu und verbindlich von Gott zu reden und den Menschen zu begegnen, habe ich eine Kraft entdeckt, die mich trägt und mir den Rücken stärkt. 

Ich habe diese meine Kirche kennen und schätzen gelernt. Als eine, die für Veränderungen bereit ist. Gerade in den letzten Jahren habe ich bei mir eine große Lust und Freude entdeckt, Kirche vor Ort, in den Bezügen der Nordkirche und in diesem Kirchenkreis mitzugestalten. Kurzum: Diese unsere Kirche liegt mir am Herzen! 

Realitätscheck

In den Vorstellungsrunden der letzten Wochen kam eine Frage immer wieder: Wie stelle ich mir die Kirche, vor allem diesen Kirchenkreis in zehn Jahren vor? 

Nun, ich bin mir sicher, auch dann werden sich Menschen lebendig in Gottes Namen versammeln. Zusammen Gottesdienst feiern. Ihren Mitmenschen zur Seite stehen. Gottes Segen erbitten. 

Die Frage danach, wie ich mir die Kirche in zehn Jahren vorstelle, ging mir in ihrer Deutlichkeit nach. Zumal der erste Blick nicht nur gute Laune bringt: Denn bei allem, was wir heute wissen, werden wir deutlich weniger. Weniger Menschen, die Mitglied in unserer Kirche sind. Weniger Mittel, die uns zur Verfügung stehen und weniger Personen, die sich finden lassen, für diese Kirche zu arbeiten. 

Die Frage nach meiner Vision von Kirche zielt auf meine Hoffnungen und Bedenken, meine Sehnsüchte und Ideen. Daher hier meine Antwort: 

Vision

Wenn ich in zehn Jahren durch Lübeck gehen würde. Das wäre dann ein Novembertag im Jahr 2035 – was würde mich bewegen? 

Ich stelle mir vor, dass wir stolz auf uns sein werden. Denn stolz ist man vor allem dann, wenn es nicht immer leicht war und wenn dann trotzdem viel erreicht ist.  

In zehn Jahren werden wir gelernt haben, würdig Abschied zu nehmen. Und das war so naheliegend. Denn das können wir ja wirklich! Abschied nehmen und dem, was war Würde verleihen. Und gleichzeitig auf ein Neu-Werden zu vertrauen. 

Seitdem sich die ersten Christen in den Gemeinden trafen, sprechen sie von beidem: Dem Loslassen und dem Hoffen auf ein Neuwerden. 

Wir werden gerungen haben, dass (damit) es eine gute Lösung gibt: Für jeden Arbeitsbereich, für jedes Gebäude. Zusammen mit sozialen Trägern, mit den ökumenischen Partnern, mit der öffentlichen Hand. Und dabei Übung bekommen haben, so dass es leichter wurde und wir realisieren konnten: Unser Glaube trägt uns genauso wie der Kontakt zueinander. 

In zehn Jahren werden wir entdeckt haben, dass Prototypen für zukünftige Arbeitsformen in Kirche schon da waren. 

Es lag auf der Hand: Gerade in der Fachstelle mit jungen Menschen war Vieles schon lange erprobt. Gleichzeitig hat die Durchmischung der Gremien durch junge Menschen uns motiviert, zeitgemäße Formen von Gremienarbeit zu finden, die barrierearm, entscheidungsfreudig und umsetzungsstark sind.

Weil wir als Kirche in zehn Jahren Vorreiter sein werden, mit weniger Ressourcen klarzukommen, wurden wir zu interessanten Gesprächspartnern für die Stadt Lübeck und für die Ämter und Kommunen im Herzogtum. Denn wir waren beileibe nicht die einzigen, die vor noch nie dagewesenen Herausforderungen standen. 

Gleichzeitig konnten wir von und mit den ökumenischen Partnern viel lernen und auch hier die Zusammenarbeit stärken. Im miteinander und voneinander Lernen wird eine noch stärke Solidarität im Gemeinwesen entstanden sein.

In den zehn Jahren werden wir gerungen und gestritten haben – wie schon zu Zeiten des neuen Testaments, in denen Paulus an die ersten christlichen Gemeinden schrieb. Wir werden unsere reformatorische Streitkultur als produktives und demokratieförderndes Gut wiederentdeckt haben – natürlich nicht unter Ausbleiben des Heiligen Geistes im ein oder anderen Moment. (Eine kräftige Brise heilige Geistkraft wird ihren Teil dazu beigetragen haben.!!!)

Bei meinem Spaziergang an dem Novembertag in zehn Jahren sehe ich das Holstentor vor mir: 

„concordia domi - foris pax“, Eintracht innen, Friede außen. 

Die Altvorderen der Stadt vertrauten mehr auf Verhandlungsgeschick als auf gewaltvolle Auseinandersetzung. Eben ein Teil des Lübecker Lebensgefühls: Freudig, lebendig und gelassen - und schön, dass du da bist! 

„Eintracht innen, Friede außen.“ Das ist für mich wie ein Schlüssel für Paulus, wenn er sagt: „Ringt um die richtige Lösung! Das ist gut und wichtig. Das alles aber lasst in Liebe geschehen“. 

Und so werden wir in all dem Ringen in zehn Jahren eine Struktur gefunden haben, die dreierlei ermöglicht: 

  1. Kirche von unten – demokratisch in ihrer DNA. Die all ihre Ressourcen zu nutzen weiß, wie die klugen Köpfe vor Ort und die versammelte Kompetenz in der Synode und im Kirchenkreis.
  2. Eine Kirche, die gleichzeitig deutlich reduzierter und klarer sein wird in den Entscheidungswegen. Es wurde zwischenzeitig klar differenziert: Wer hat auf welcher Ebene was zu entscheiden. Wo denken alle mit? Und wo ist es sinnvoller, wenn stellvertretend gehandelt wird?
  3. Eine Verwaltung, in der sich widerspiegelt, dass Lübeck als Stadt der Kurzen Wege bekannt ist: effektiv, dienstleistungsorientiert und „fast“ unbürokratisch. 

Was heißt das fürs Wesen unserer Kirche?

Im Neuwerden entdecken wir unsere Freiheit wieder: 
Eben jene Freiheit eines Christenmenschen, die nicht aus uns selbst kommt und uns ermöglicht, weiterhin 

  • fröhlich Gott und unsere Gemeinschaft zu feiern
  • Menschen in allen Licht- und Schattenmomenten zu begleiten
  • Segensfeste zu feiern am Strand, am See, unter freiem Himmel und in alten Gemäuern

Diese Freiheit ermöglicht, 

  • Stellung zu beziehen und uns für die einzusetzen, die aus dem Blick zu geraten drohen. In Wort und Tat – mit der Diakonie als einem großen Schatz in unserer Mitte! 

In zehn Jahren werden wir den Menschen, die für sich ehrenamtlich für die Kirche einsetzen und denen, die für sie arbeiten, noch einmal mehr zugehört haben. Denn sie tun dies mit einer großen Hingabe. In den Kirchengemeinden, Diensten und Werken, in den KiTas, in der Diakonie, in der Verwaltung und an vielen anderen Stellen. Das half, immer wieder sprachfähig zu werden und Menschen wirklich ansprechen zu können. 

Während ich durch die Straßen Lübecks gehe – im November 2035 – erinnere ich mich an das große Festival 2030: 

2000 Jahre Auferstehung. Eine Idee aus der Nordkirche und dem Konvent wurde umgesetzt. Natürlich im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Für mich das Herz der Nordkirche.

Ein Frühlingswochenende wie ein großer Kirchentag war das. Die Straßen der Stadt bevölkert von Menschen von überall her. Mit Andachten und Gottesdiensten in der Öffentlichkeit. Dort wurde erlebbar, wie Auferstehung geht. Mitten im Leben dieser Welt. Welche Hoffnung und Kraft in dieser großen Freude liegt, „die allem Volke gilt“. 

Und ich atme etwas auf: Einfach wird es nicht gewesen sein, denke ich mir dann. Wahrscheinlich werde ich ein paar graue Haare mehr haben. Aber wir haben es gemeinsam geschafft. Mit Gott an unserer Seite und einander im Blick. 

Meine Rolle

Mir liegt an unserer Kirche und den Menschen, die sie mit Hingabe gestalten. Mich trägt dabei mein Glaube an den Gott, von dem HAGAR gesagt hat: Du bist ein Gott, der mich ansieht. 

Ich möchte für eine kirchliche Struktur eintreten, die geprägt ist von Interesse, Offenheit und Mitgefühl, die (und) Kommunikation auf Augenhöhe ermöglicht. Und ich möchte den Menschen, die sich für unsere Kirche einsetzen den Rücken stärken. Denn sie sind unser größtes Pfund in all dem, was vor uns liegt. Am besten gelingt das durch transparente Kommunikation und konsequente Einbindung und durch das Heben von Talenten.  

Wir müssen als Kirche mutig sein: Jesus Christus hat so mutig und verbindlich von Gott gesprochen, dass das riskant war. Und ja, riskant ist es manchmal heute noch. Bischöfin Mariann Edgar Budde hat das bei der Predigt zu Trumps Amtseinführung deutlich gemacht: Es erfordert Mut, Stellung zu beziehen, gegen all die Destruktionskräfte in dieser Gesellschaft. Es erfordert Mut, sich hinzustellen und für Demokratie einzustehen und sich an die Seite derer zu stellen, die sonst keine Lobby haben. Neben Geflüchtete, neben Einsame, neben sozial schwache – eben neben die Menschen an den Rändern der Gesellschaft. 

Und wir müssen uns verbinden. Das ist für mich Teil von geistlicher Leitung, dass der Heilige Geist eine Rolle spielt, dass wir im Team miteinander arbeiten und verschiedene Gaben ihren Ort haben. 

Dass wir Zusammenstehen zwischen Ehren- und Hauptamt und darum ringen, wie es weitergehen soll, mit dieser Kirche. Uns noch mehr vernetzen innerhalb der Nordkirche zwischen den Kirchenkreisen, innerhalb des Kirchenkreises zwischen Lübeck und dem Herzogtum Lauenburg. 

Abschluss

Dabei habe Ich habe Lust diese Kirche mitzugestalten und deutlich mehr Hoffnung als Angst. Ich stehe Ihnen mit meiner Erfahrung, meinem Herz und meiner Freude für die Wahl als Propst zur Verfügung und ich würde mich freuen, wenn Sie mir das Vertrauen aussprechen.