Eine Gedenkstätte im Wald erinnert an die Deportation und Ermordung der Lübecker Juden im Jahr 1941. Copyright: Petra Kallies
Mitten auf der Straße muss man sich vor ihnen verneigen. Nur so lassen sich die Namen der Opfer auf den Stolpersteinen lesen. „Deportiert 1941. Ermordet in Riga.“ Auf vielen der kleinen Messingplatten auf Lübecker Gehwegen stehen diese Worte.
Am Nikolaustag 1941 mussten sich 92 Juden und Jüdinnen in der St. Annen-Straße versammeln. Mit dem Zug wurden sie mit anderen Verfolgten aus Norddeutschland nach Lettland gebracht, das damals von den Deutschen besetzt war. Viele von ihnen starben in den ersten Wochen der Zwangsarbeit an Hunger und Kälte. Im Februar und im März 1942 wurden über tausend jüdische Kinder, Frauen und Kranke im Bikernieki-Wald in der Nähe von Riga erschossen.
Bei einem Besuch erzählte mir ein Lette, dass man vor einigen Jahren am Waldrand ein neues Wohngebiet bauen wollte. Sehr schnell mussten die Arbeiten wieder eingestellt werden. Überall stießen die Bauarbeiter auf Massengräber. Von den Lübeckern, die nach Riga deportiert wurden, überlebten nur sechs. 2001 wurde dort eine Gedenkstätte eröffnet. „Ach Erde, bedecke mein Blut nicht, und mein Schreien finde keine Ruhestatt!“ (Hiob 16,18) ist in den zentralen Gedenkstein eingraviert.
Morgen, am 6. Dezember 2021, jährt sich der Tag der Deportation der letzten Lübecker Juden durch die Nazis zum 80. Mal.
Wir halten inne und verneigen uns vor den Ermordeten.
Von Bischof Nikolaus, dem echten Nikolaus, wird erzählt, dass er den Kirchenschatz geplündert habe, um Menschen seiner Stadt aus der Hand von Piraten zu befreien. Denn nichts auf der Welt kann wichtiger sein, als Menschenleben zu retten. Nichts kann uns heiliger sein als Leben zu retten. Öffnen wir unser Herz für Gottes Licht, damit wir das Richtige tun. Für Menschen, die heute in Not sind und für uns selbst auch.
Dieser Text erschien in der Reihe Wort zum Sonntag in den Lübecker Nachrichten am Sonntag, 5. Dezember 2021.