Propstei Lübeck Pröpstin Kallies zum Reformationstag: Nicht raushalten, sondern einmischen!

Lübecks Pröpstin Petra Kallies predigte zum 125. Kirchweihjubiläum in der St. Lorenz-Kirche. Copyright: Guido Kollmeier

Lübeck. Die Lübecker Pröpstin Petra Kallies hat am 31. Oktober 2025 anlässlich des 125. Kirchweihjubiläums der St. Lorenz Kirche (Laurentiusgemeinde Lübeck) gepredigt. Im Mittelpunkt stand die Reformation – damals und heute. Die Predigt im Wortlaut. 

Die Predigt im Wortlaut

„Die Reformation war kein Goldmoment.“ schreibt eine Kollegin bei Instagram. „Goldmoment“, das klingt nach Erfolg, nach Glitzer, Glanz und Gloria, nach Wohlgefühl und Highlight des Monats. Mindestens.

Stattdessen war die Reformation, die Reform, die radikale Veränderung der mittelalterlichen Kirche, jahrzehntelange harte Arbeit, verbunden mit einem erheblichen Zeit- und Kraftaufwand und großen persönlichen Risiken. 

Wir erinnern uns vielleicht noch dunkel an den Geschichtsunterricht. Der Reformator Martin Luther wurde vom damaligen Kaiser Karl V. für „vogelfrei“ erklärt. Was vielleicht in unseren Ohren ganz nett klingt („frei wie ein Vogel“), war in Wahrheit die christliche-mittelalterliche Form der absoluten Entrechtung eines Menschen. Galt jemand als vogelfrei, durfte ihn jeder beliebige Mensch ermorden. Der Mörder blieb nicht nur straffrei, sondern wurde auch noch beglückwünscht und vielleicht sogar noch belohnt zu dieser Untat.

Wichtiger Feiertag der Erinnerung

Für die Reformation haben viele Menschen einen hohen Preis gezahlt; schon deshalb ist es richtig, mit einem staatlichen Feiertag an diese mutigen Männer und Frauen zu erinnern.

Im Matthäus-Evangelium in Kapitel 10 sagt Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern:

»Habt keine Angst vor Menschen! Es gibt nichts Verborgenes, das nicht sichtbar wird, und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln anvertraue, das sagt am hellen Tag weiter! Und was ich euch ins Ohr flüstere, das verkündet von den Dächern! Habt keine Angst vor denen, die nur den Körper töten können, aber nicht die Seele. Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber nicht kennen will vor den Menschen, den will auch ich nicht kennen vor meinem Vater im Himmel.«

„Was ich euch im Dunkeln anvertraue, das sagt am hellen Tag weiter! Und was ich euch ins Ohr flüstere, das verkündet von den Dächern!“ 

Die Wahrheit gehört ans Licht

Das wirklich Wichtige, die Wahrheit gehört ans Licht. Und je mehr Menschen darüber sprechen, umso besser!

Was ist es denn genau, das wir sagen sollen, die wir uns Christinnen und Christen nennen? Was genau sollen wir weitererzählen, jede Generation neu? Was genau ist es, das immer wieder in der jeweiligen Gegenwart ausgesprochen gehört?

Es wird nicht immer auf offene Ohren und offene Herzen treffen. Jesus sagt ja nicht ohne Grund: Habt keine Angst vor denen, die nur den Körper töten können, aber nicht die Seele.

Zu Jesu Zeit waren es die religiösen Autoritäten, die die Menschen aufteilten in zwei Kategorien:

  • Die einen befolgen die biblischen Gebote. Sie leben gottgefällig und sie dürfen sich nach dem Tod auf das Paradies freuen.

  • Die anderen befolgen die Gebote nicht, aus was für Gründen auch immer. Sie leben nicht gottgefällig und können sich schon mal auf die Hölle einstellen.

Es hat den Anschein, dass die damaligen Frommen vor allem ziemlich selbstgefällig waren. Zur Reformationszeit herrschte in der Theologie und in der Kirche ein krasses Leistungsdenken. Gott wurde als strenger Richter verstanden, der die Menschen ebenfalls in die beiden Kategorien einsortierte:

Fromm und gottgefällig = willkommen im Paradies.

Sündig und gottlos = ab in die Hölle. 

Im späten Mittelalter jedoch meinte man, man könne da selbst einiges nachbessern: zum Beispiel durch den Kauf von Ablassbriefen. Gegen einen bestimmten Betrag wurden, so stellte man sich das vor, Teile des persönlichen Sündenkontos getilgt. Von der zu erwartenden Strafe wurde einiges „abgelassen“. Das war dann sozusagen vorzeigbare Vergebung mit Brief und Siegel. 

Für die weniger Betuchten waren Selbstquälerei, Pilgern und Fasten bis zur Selbstaufgabe angeblich Möglichkeiten, sich Gottes Liebe zu erarbeiten. Jedenfalls predigten die Priester, das Verhältnis zu Gott ließe sich durch eigene Leistung verbessern. Und damit da keiner ausscherte, war die Kirche die Agentur der Angstmacherei. (Nebenbei war der Ablass natürlich auch eine willkommene und große Einnahmequelle für die Kirche.)

Keine Angst vor Gott

Es hat lange Zeit gedauert, bis einzelnen Christenmenschen, und dann immer mehr Leuten, klar wurde: das ist überhaupt nicht mehr das, was schwarz auf weiß in der Bibel steht und was mit Jesus in die Welt gekommen ist: „Gott ist Güte. Gottes Liebe ist Geschenk. Du brauchst, nein, du SOLLST keine Angst vor Gott haben! Du bist ein freier Mann, eine freie Frau – aufrecht und hoffungsvoll darfst Du vor Deinen Gott treten und Gott alles sagen, was Dich glücklich macht – und genauso, was Dir das Leben manchmal unerträglich schwer macht! So wie Du bist, liebt Dich Gott.“

DAS, liebe Gemeinde, ist sehr wohl ein „Gold-Moment“. Ist Glitzer, ist Glanz und Gloria! Niemand kann sich zwischen Dich und Gottes Liebe drängen! Du brauchst keine religiösen Autoritäten mehr, die Bedingungen stellen und Deine religiöse „Leistung“ bewerten.

Reformation war und ist harte Arbeit

Trotzdem: Reformation war und ist harte Arbeit. Luther & Co. liefen nicht bei allen offene Türen ein. Genauso, wie Jesus selbst schon nicht überall offene Türen eingelaufen war. Denn: Wo keine irdische Macht zwischen dir und Gott steht, verlieren die Mächtigen ihre Kontrolle und ihre Macht. Die Macht, die auf Angstmacherei basiert; darauf, Menschen zu bewerten, zu kategorisieren und ihnen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Mächtige verzichten in der Regel nicht gerne auf ihre Macht, denn sie verleiht ihnen ja Bedeutung…

Die Reformatoren haben gar nichts wirklich Neues gedacht. Sie haben ganz einfach „Jesus“ wiederentdeckt: seine Botschaft von Gottes Liebe zu allen Menschen. Direkt und bedingungslos.

Was ich euch im Dunkeln anvertraue, das sagt am hellen Tag weiter! Und was ich euch ins Ohr flüstere, das verkündet von den Dächern! Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber nicht kennen will vor den Menschen, den will auch ich nicht kennen vor meinem Vater im Himmel.«

Glauben bedeutet nicht, „Gott einen guten Mann sein zu lassen und einfach so zu leben, wir es mir am besten passt, was für mich am angenehmsten, am bequemsten ist. Weil Gott mich liebt, so wie ich bin, auch mit meinen Ecken und Kanten, und auch trotz der Schuld, die ich mit mir herumtrage, weil Gott mich bedingungslos liebt, hat das Konsequenzen für meinen Umgang mit den anderen. Gott liebt ja nicht nur mich. Gott liebt meine Mitmenschen ebenso bedingungslos. Das klingt gut, oder? Aber manchmal ist es dann doch ziemlich schwer.

“Manches Gerede ist gottlos” 

Es gibt Zeitgenossen und -genossinnen, deren Meinung finde ich nicht nur falsch; manches finde ich unerträglich. Und manches Verhalten und manches Gerede halte ich schlichtweg für gottlos. 

Jesus nachfolgen bedeutet nicht: „Ich bin okay, du bist okay. Soll doch jeder sagen, was er, was sie will.“ Jesus hat sich ständig mit seinen Gegnern angelegt, immer wieder aktiv die öffentliche Auseinandersetzung, den Konflikt gesucht.

»Habt keine Angst vor Menschen! Es gibt nichts Verborgenes, das nicht sichtbar wird, und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln anvertraue, das sagt am hellen Tag weiter! Und was ich euch ins Ohr flüstere, das verkündet von den Dächern!

Was würde Jesus tun?

Für mich bedeutet das: beim Namen nennen, was Unrecht ist. Nicht wegsehen, wenn Böses passiert. Mich nicht raushalten, sondern einmischen. Jede und jeder nach den eigenen Möglichkeiten, aber ganz sicher sollen wir nicht andauernd in unserer Komfortzone bleiben. Für mich lautet die Prüffrage, immer wieder, ganz schlicht: „Was würde Jesus tun?“ Was würde Jesus sagen? Wie würde Jesus handeln?

In einer Zeit, 

  • in der der Umgang miteinander von Woche zu Woche rüder und respektloser wird, 

  • in der Diskussionsbeiträge vor allem dann öffentliche Beachtung finden, wenn sie provozieren und bewusst Grenzen überschreiten,

  • in der die Schreihälse Gehör finden – und nicht die Nachdenklichen,

in dieser Zeit sehe ich tatsächlich einen wichtigen Auftrag der Kirchen hierin: uns diesem zerstörerischen Zeitgeist entgegenzustellen, auf Nächstenliebe und Respekt zu drängen - und uns nicht einschüchtern zu lassen.

Reformation ist nicht immer ein Goldmoment – sondern oft genug mühsam und unbequem.

Jeder Mensch kann einfach da sein

Nicht jedem und jeder ist es gegeben, den Glauben „von den Dächern zu verkündigen“. Aber von Mensch zu Mensch geht das sehr wohl. 

Was trägt Dich? Was gibt Dir ganz persönlich Hoffnung? Wie kannst Du davon erzählen: in Deiner Familie? Im Freundeskreis? Auf der Arbeit? In der Kirchengemeinde? In der Schule? Beim Sport?

Wenn Dir dafür noch die Worte fehlen, dann sei doch einfach nur da: sei aufmerksam, sei freundlich. Frag nach, wie es der anderen geht. Bring dem Kollegen einen Kaffee mit. Mach nicht mit, wenn gelästert wird. Sondern wenn jemand Unfrieden sät, sag einfach: „Ich sehe das anders.“ Gib Fehler zu – und geh freundlich mit den Fehlern der anderen um. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Guten.“ Und halte Ausschau nach der Liebe. Sie ist überall. Denn Gott ist die Liebe. Und der Friede Gottes, der höher ist als unser eigenes Verstehen, erfülle unsere Seelen. Amen.