Rahel von Marschall ist verantwortlich für "See me". Das Beratungsangebot der Gemeindediakonie Lübeck wird Ende 2025 beendet. Es richtete sich an Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffenen sind. Copyright: Bastian Modrow
Lübeck. Die Not von Kindern und Jugendlichen sichtbar machen, ihnen eine Stimme geben und niedrigschwellig beraten: Das ist das Ziel des im Sommer 2023 am Beratungszentrum Hüxterdamm der Gemeindediakonie Lübeck gestarteten Projekts „See me! Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche bei familiärer Gewalt“. Ende 2025 gibt die Gemeindediakonie das auf dreieinhalb Jahre angelegte Projekt vorzeitig wieder an das Landesjustizministerium zurück. Dieses finanziert in ihren vier Landesgerichtsbezirken insgesamt sieben Beratungsstellen freier Träger für Kinder von Inhaftierten sowie Kinder, die häusliche Gewalt erleben.
Mitarbeiterin kündigt “schweren Herzens”
Die Projektverantwortliche bei „See me!“, Rahel von Marschall, die aufsuchend in Lübeck sowie den Kreisen Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Ostholstein tätig war, hat ihre Stelle schweren Herzens gekündigt. „Ich habe in den letzten Monaten zunehmend gespürt, dass die strukturellen Rahmenbedingungen nicht mehr das bieten, was ich mir für die Kinder und Jugendlichen und für meine eigene Arbeit wünsche“, begründet die zertifizierte Traumapädagogin diesen Schritt. Hintergrund ist eine nicht ausreichende Finanzierung und Perspektive – konkret sind das laut der Sozialpädagogin (B.A.) „die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen im Politik- und Sozialbereich“.
Finanzmittel des Landes reichten nicht aus
Die Projektmittel müssen jährlich neu beantragt werden. Bereits Ende 2024 sahen die Träger ihre Arbeit bedroht, da für den Haushalt 2025 eine mögliche Kürzung um die Hälfte der Mittel angekündigt worden war. Nach einer öffentlichen Protestaktion vor dem Landeshaus Kiel konnte diese abgewendet werden. Rahel von Marschall: „Mein Ziel war es, etwas Nachhaltiges aufzubauen. Die Projektperspektive ist zwar über drei Jahre hinaus finanziell möglich, jedoch nicht ausreichend, um den aktuellen Bedarf und die notwendigen strukturellen Veränderungen zu tragen.“ Wegen einer zu langen Warteliste seit Juli 2025 habe sie keine neuen Fälle mehr aufnehmen können.
Gute Kooperation mit Netzwerkpartnern
Froh sei sie über die gute Zusammenarbeit mit vielen Netzwerkpartnern. „Dank dieser guten Zusammenarbeit können die von mir betreuten Kinder jetzt gut aufgefangen werden“, betont Rahel von Marschall. Als Beispiel nennt sie Familienberatungsstellen – darunter auch das hauseigene Beratungszentrum Hüxterdamm –, das Jugendamt sowie Kinderschutzzentren. „Mir war es besonders wichtig, dass ich meine Beratung traumasensibel abschließe und den Kindern einen guten Übergang zu anderen Beratungsstellen anbieten kann.“
Dankbar sei sie auch für die große Spendenbereitschaft vieler Menschen, etwa im Rahmen von Gottesdienst-Kollekten. „Ich habe immer wieder viel Verständnis für die Dringlichkeit meiner Arbeit erlebt“, so die 29-Jährige. „Ich wünsche mir, dass die Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt in allen Formen und die Bedeutung des Hinhörens bei Kindern und Jugendlichen noch stärker ins Bewusstsein rückt.“
Gemeindediakonie bedauert vorzeitiges Aus
Die Geschäftsführerin der Gemeindediakonie Lübeck, Dörte Eitel, bedauert das vorzeitige Aus, zeigt aber gleichzeitig Verständnis: „Mit Frau von Marschalls Weggang verlieren wir eine engagierte und sensible Mitarbeiterin, die sich ihrer Arbeit mit ganzer Kraft gewidmet hat. Es braucht auf Dauer aber auch gute, verlässliche Rahmenbedingungen für eine solche Arbeit. Angesichts der schwierigen Haushaltslage konnten wir ihr diese leider nicht bieten.“
Auf ihrer Homepage führt die Gemeindediakonie die Kontaktdaten und Links der relevanten Beratungsstellen im Verbreitungsgebiet von See me! auf: See me! Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche bei familiärer Gewalt