Lübeck. “Glaub an die Kraft des Unmöglichen: an Gottes Segen”, appelliert Lübecks Pröpstin Petra Kallies. Ein Beitrag zum Karfreitag.
Die Welt steht Kopf. Tag für Tag neue schlimme Nachrichten. Die Gewaltspirale dreht sich schneller und schneller. Hassrednerinnen und Hassredner kommen inzwischen nicht mehr aus einer kleinen radikalen politischen Schmuddelecke, sondern sie regieren die Völker. Egomanen stürzen die Weltwirtschaft in die Krise – und man erkennt noch nicht einmal mehr einen Sinn darin; und sei er noch so seltsam.
Wenige alte weiße Männer halten zu viel Macht in Händen und zocken mit der Zukunft unserer Kinder und Enkel. Einfach, weil sie es können, und wann es ihnen passt. Sie füttern weltweit die Kriegsmaschinerie, der täglich Hunderte zum Opfer fallen. Worum es ihnen einzig und allein geht? Zitat: „Dies ist die Gelegenheit, reich zu werden, sehr reich!“
Er war frei, denn er hatte nichts
Vor langer Zeit, da ging ein anderer durch Dörfer und Städte, der hatte nichts auf der hohen Kante. Kein eigenes Dach über dem Kopf; die Kleider, die er trug, mildtätige Gaben. Lebte von gespendetem Essen. Er war frei, denn er hatte nichts, was er hätte festhalten müssen. Und immer wieder zog er sich zurück, irgendwo in die Einöde, um Gott nah zu sein. Er fastete, er betete, er meditierte. Danach kam er zurück und verteilte das, was Gott ihm während dieser Zeit geschenkt hatte. Segen.
Und das ging so:
Er hörte denen zu, die immer übersehen wurden.
Er berührte die, die an Leib und Seele krank waren.
Er lieh denen seine Stimme, denen kein Recht auf eine eigene Meinung zugestanden wurde.
Er widersprach den Selbstgerechten – und ermutigte damit die Gedemütigten.
Er lebte von Gottes Segen, und er spendete Gottes Segen. Er gab ihn weiter, mit offenen Armen, mit offenen Händen.
Hass gebiert Hass
Hass gebiert Hass. Jede Vergeltung führt zu immer neuen Vergeltungsaktionen. Wie soll das gehen, irgendwann einmal, wenn endlich die letzte Patrone abgefeuert ist, zwischen Russ:innen und Ukrainer:innen, zwischen Israelis und Palästinenser:innen?
Ich behaupte nicht, (inzwischen nicht mehr; als ich jung war, habe ich das getan…) dass Jesu Bergpredigt sich als Praxis-Handbuch für erfolgreiche Außenpolitik eignet: „Wenn Dich jemand auf die linke Wange schlägt, halt‘ auch die rechte hin. Wenn dir jemand den Mantel raubt, gib ihm auch noch deinen Pullover dazu. Und wenn dich jemand zwingt, ihn bis zum Bahnhof zu fahren: fahr ihn gleich dahin, wohin er eigentlich will.“
Wenn jemand dein Land überfällt, biete ihm an, doch gleich die Regierungsgewalt zu übernehmen?? Das wäre vielleicht mal eine überraschende paradoxe Intervention, aber sicher kein brauchbares Regierungsprogramm. Das nicht.
Aber was ich nach wie vor schätze, ist die damit verbundene Haltung. Reagiere nicht auf Gewalt mit Gegengewalt. Und wenn dich jemand beschimpft, pöble nicht zurück. Bleib bei Dir. Bleib klar und aufrecht, und lass dich nicht auf unterstes Niveau runterziehen. Antworte auf Hass mit Segen.
Das unmögliche Mögliche
Das ist doch unmöglich?
In diesen Tagen haben wir des 80. Todestages Dietrich Bonhoeffers gedacht. Er war Theologe, Seelsorger, friedensbewegter Pastor. Er schloss sich dem Widerstand gegen die Hitler-Diktatur an. Im April 1943 wurde Bonhoeffer verhaftet und am 9. April 1945, ganz kurz vor Kriegsende, auf Hitlers ausdrücklichen Befehl hin, hingerichtet. Lassen wir Bonhoeffer zum möglichen Unmöglichen, oder zum unmöglichen Möglichen, zu Wort kommen.
In einer kleinen schriftlichen Bibelauslegung hat er am 8. Juni 1944 geschrieben:
„… Das war die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug: Segen.
Gott vergilt nicht Gleiches mit Gleichem und so soll es der Gerechte auch nicht tun. Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen. …
Segnen, das heißt die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. … So tun wir es mit der Welt, die uns solches Leiden zufügt.
Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung, wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich, er erneuere dich, … du von Gott geschaffene Welt, die du deinem Schöpfer und Erlöser gehörst… wer aber selbst gesegnet wurde, der kann nicht anders als diesen Segen weitergeben, ja, er muss dort, wo er ist, ein Segen sein. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden, und das Unmögliche ist der Segen Gottes.“
„Wir verlassen diese hasserfüllte Welt nicht, wir verachten sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung. Wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme erneuere dich. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden, und das Unmögliche ist der Segen Gottes.“ (Römer 12, 21)
Als Christinnen und Christen stehen wir am Karfreitag unter dem Kreuz Jesu. Wir halten uns zu dem, der unbeirrbar an das scheinbar Unmögliche geglaubt hat: dass Frieden werden kann, immer wieder, auch wenn der Hass alles zu übertönen scheint.
Das Böse mit Gutem überwinden
Welch eine Entlastung, dass es nicht unser Segen ist, unsere Friedenskraft, unsere Hoffnungskraft, die wir aufbringen müssten. Es ist Gottes Segen, den wir empfangen und verteilen dürfen. Es liegt aber an uns, ob wir dazu bereit sind. Sind wir bereit, das Unmögliche zu wagen?
Nicht als Politikerinnen und Politiker, aber als Bürgerin, als Bürger, als Mensch? Heute, morgen, im Hier und Jetzt? Da, wo Gott uns hinstellt? Sind wir bereit, Segen zu verteilen? „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Glaub an die Kraft des Unmöglichen: an Gottes Segen! Amen.