Gemeinsam singen macht glücklich und gesund. Seit Mitte März gilt genau das Gegenteil, denn wegen der Ansteckungsgefahr dürfen Chöre und Kirchengemeinden sich nicht zum Musizieren treffen. Kirchenmusiker aus Lübeck und Lauenburg finden Wege über das Internet, um mit Chören und singenden Gemeinden in Verbindung zu bleiben. Das ist für alle Beteiligten ungewohnt, schafft aber auch Zusammenhalt.
Chorproben-Ersatz per Video
Auch Nathanael Kläs, einer von zwei Pop-Kantoren für den Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, spürt das große Bedürfnis bei Chorleitern und Chören, musikalisch in Kontakt zu bleiben. Schon im März stellte er den Kirchenmusikern des Kirchenkreises eine Video-Software vor, mit der man gemeinsame Proben über das Internet abhalten kann. Aber nicht alle Chormitglieder haben die Ausrüstung dafür. „Das kann am Anfang natürlich chaotisch sein mit einem Chor, der das nicht gewohnt ist.“ Verzögerungen in der Tonübertragung oder Schwankungen der Signalqualität kommen erschwerend dazu. Also setzt Kläs lieber auf Videos und Audioaufnahmen, die er für seine Sänger:innen herstellt. Er singt und spielt darin Stücke oder Stimmübungen vor, so dass der Chor von Zuhause aus lernt.
Digitaler Auftritt des Paul-Gerhardt-Jugendchors
Für Timo Schmidt, Jugendchorleiter der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Lübeck, war das Musizieren aus der Distanz absolutes Neuland. Aber um den Kontakt zu seinem Chor nicht zu verlieren und der Gemeinde Identifikation zu verleihen, lernte er kurzerhand Video- und Tonbearbeitung am Computer. Heraus kam ein digitaler Chorauftritt mit dem Lied „Hallo, bunter Schmetterling“, der die Kinder und Jugendlichen mit Bild und Ton einfängt.
Neben den technischen Herausforderungen war für ihn vor allem das fehlende unmittelbare Feedback schwierig. Wenn der Computer wegen der großen Datenmengen mal wieder streikte, meldete er über die sozialen Medien Zwischenstände zu seinem Projekt. „In der Hoffnung, dass motivierende Rückmeldungen kommen“, erzählt er lachend. Die meisten Eltern waren Feuer und Flamme und für die Kinder war es eine sehr willkommene Abwechslung in diesen Tagen. Die anderen Gemeindemitglieder sind stolz auf ihren Kinderchor. „Die schönste Rückmeldung kam aber von der Komponistin des Lieds, Ute Rink“, erzählt Timo Schmidt. „Sie war wirklich gerührt!“ Weil die Kinder unbedingt weitermachen wollten, stellte die Autorin zu Pfingsten ein neues Lied zur Verfügung, das der Chor inzwischen auch veröffentlicht hat.
Digital breit aufgestellt: Die Lübecker Knabenkantorei
Die Lübecker Knabenkantorei an St. Marien war schon vor der Corona-Krise über Youtube, Facebook und Instagram digital breit aufgestellt. Nach derselben Methode wie in der Paul-Gerhardt-Gemeinde hat auch die Kantorei zwei virtuelle Auftritte absolviert. Einem Choral aus Bachs Johannes-Passion folgte zu Pfingsten das „Halleluja“ aus der Feder von Marienkantor Karl Hänsel. Die jungen Sänger erhielten dafür von ihrem Chorleiter Videos mit Noten und seinem Dirigat. Ein ehemaliger Sänger übernahm die Bild- und Tonbearbeitung.
Online-Freizeit für den Zusammenhalt
Wichtiger als die künstlerische Perfektion war es dabei für Hänsel, ein Ziel zu haben und Zusammenhalt zu stiften. Die gemeinsame Freizeit ist bei den jungen Sängern ein wichtiger Teil des Chorlebens. Also traf sich der Chor zum Einen für Proben, zum Anderen aber auch in der Freizeit online. „Wir haben dann Gesellschaftsspiele gespielt oder es gab Quizabende. Das wurde sehr gut angenommen!“, erzählt Hänsel. Er persönlich vermisst es dabei schmerzlich, den Chor nicht direkt hören zu können. „Die Chorproben sind ja sonst immer so ein Höhepunkt des Tages nach aller Verwaltungsarbeit und Organisation. Das fehlt!“
Vom Chor abgesprungen ist bisher keiner der Sänger, aber bei einigen sei langsam "die Luft raus", was die Online-Proben betrifft. Die Aussicht auf mögliche Proben im Freien wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. „Weg vom Bildschirm und wieder direkt mit allen Jungs zusammen singen, reden und lachen“, erhofft sich auch Hänsel.
Singen mit der virtuellen Gemeinde im Livestream
Weniger aufwendig ist die Verbreitung von Gemeindeliedern zum Mitsingen. Pop-Kantor Kläs singt und spielt in zwei verschiedenen Gottesdienst-Formaten, die live auf Youtube gestreamt werden. In seiner Gemeinde St. Matthäi und im Gottesdienst „#liveline“ des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg ist Kläs im wöchentlichen Wechsel tätig. Die Texte werden dort zum Mitsingen eingeblendet. Dass er niemanden mitsingen hört, ist für ihn als Theater- und Musical-Pianisten nicht ungewöhnlich. „Im Orchestergraben bekommt man auch nicht viel mit“, erzählt Kläs.
Aber wie ergeht es der virtuellen Gemeinde? Das Pastoren-Ehepaar Katja und Heiko von Kiedrowski singt regelmäßig in der Gottesdienst-Reihe „#liveline“ aus der Lübecker St.-Jürgen-Kapelle zu Kläs‘ Klavierbegleitung. Beide bekommen immer wieder Rückmeldungen, wie wichtig die Musik und die gemeinsamen Lieder für die Stimmung des Gottesdienstes seien. „Gerade, wenn Teilnehmer mit der Familie dem Gottesdienst folgen, singen sie gerne mit“, berichtet Katja von Kiedrowski. „Einigen gefällt die Musik so gut, dass sie sich einzelne Lieder der vergangenen Gottesdienste auf dem Youtube-Kanal noch mehrfach anhören.“
Konzert Trotz Corona: Ein „Haushaltschor“ im Ratzeburger Dom
Wie trotz Corona ein vollgültiges Konzert stattfinden kann, zeigt ein kurioser Fall aus Ratzeburg. Hier konnte Domkantor Christian Skobowsky eine musikalische Osterandacht mit kleinem Chor und den drei Orgeln des Doms einspielen. Inklusive Programmzettel und Liedern zum Mitsingen. Alle Musiker rekrutierten sich aus Skobowskys Kindern und deren Lebensgefährten – ein echter Haushaltschor. „Vor allem per E-Mail kamen Rückmeldungen, die durchweg positiv waren!“ erzählt Skobowsky. Das organische Entstehen und das familiäre Umfeld machten diese Aufnahme für ihn besonders. „Wir waren uns selbst genug“, beschreibt Skobowsky die Stimmung in der Familie.
So machen alle Kirchenmusiker die neuen Herausforderungen wett mit Gelassenheit: Im Moment muss nicht alles perfekt sein. Für Profis wie Laien, Vorsänger und Mitsänger zeigt sich derzeit vor allem, wie wertvoll es ist, dass überhaupt gemeinsam gesungen wird.
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