Versöhnung ist ein sehr langer Weg: St. Marien zu Lübeck erinnert im November 2014 an den Ersten Weltkrieg. Einen Monat lang wird zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen. Mittelpunkt ist eine Ausstellung mit Bildern von Uwe Appold.
Aus eintausend Meter Höhe wirkt das Schlachtfeld von Verdun wie ein grünbrauner Flickenteppich aus Feldern, Wiesen und Wald. Von so hoch oben weist nichts auf die Kämpfe hin, in denen vermutlich 350.000 Deutsche und Franzosen starben: als Menschenmaterial in der militärisch sinnlosen Abnutzungsschlacht.
Auf großen Leinwänden hält der Künstler Uwe Appold diese Perspektive fest und verdeutlicht so die emotionale und zeitliche Entfernung, die den Irrsinn der Schlacht in Vergessenheit geraten ließ. Im Kopf die Schilderung der Kämpfe in Arnold Zweigs Roman „Erziehung vor Verdun“ taucht der Maler dann buchstäblich in den Ort ein. Er zeigt Collagen mit Erde aus Verdun und Kriegsresten wie Granatsplittern. Dafür hat er die verschütteten Schützengräben regelrecht aufgewühlt. So will er die Erinnerung an den vor einhundert Jahren tobenden Krieg zurückholen: „Ich gehe unter die Erde, dort finde ich das Leid des einzelnen Mannes.“ Vom 31. Oktober bis zum 26. November sind die Werke in der St. Marienkirche zu sehen. Die Ausstellung eröffnet eine Veranstaltungsreihe mit , mit der die Kirchengemeinde den Ersten Weltkrieg dem Vergessen entreißen möchte.
In Frankreich und England ist das Wissen über den ersten Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts sehr lebendig. Bei uns überlagert der Zweite Weltkrieg diese Erinnerung. St. Marien greife das Thema auf, weil die Zerstörung der Kirche 1942 als Trauma noch immer in Lübeck spürbar sei. Das verpflichte, so Pastorin Annegret Wegner-Braun: „Wir sehen es als unsere Aufgabe an, uns aktiv für Frieden und Versöhnung einzusetzen.“ Die Veranstaltungsreihe ist eingebettet in die kirchliche Friedensarbeit: „Wir wollen ergründen, wie wir aus diesem Krieg hervorgegangen sind: Was lehrt er uns für heute?“
Damals sind die Soldaten mit dem Ruf „Gott mit uns“ an die Front gezogen. Auch in Lübeck predigten die Pastoren das Durchhalten bis zum bitteren Ende. Die Kriegsbegeisterung im Ersten Weltkrieg sei ein Tiefpunkt der Kirchengeschichte, erklärt der Theologe Dr. Jörn Halbe, einer der Organisatoren.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg war die Kirche bereit, Schuld einzugestehen. Seitdem ist sie vielfältiger und offener geworden – und damit friedensfähig. Die Vorträge, Bilder, Lyriklesungen, Konzerte und Gottesdienste erlauben einen individuellen Zugang zur Geschichte des Weltkriegs. Die Veranstalter wollen Versöhnung mit den ehemaligen Feinden und der eigenen Geschichte. Ihre Botschaft: Vertraut nicht zu sehr den Waffen.
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Das Programm des Themenmonats Erster Weltkrieg in St Marien zu Lübeck:
14/18 Ausstellung und Veranstaltungsprogramm in St. Marien
Ausstellung in St. Marien Lübeck vom 31.10. – 26.11.2014
Uwe Appold
14/18: Landschaft als Gedächtnis des Krieges, Bilder zur Schlacht um Verdun
Freitag 31.10.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien
Gottesdienst zum Reformationstag
Eröffnung der Ausstellung 14/18 mit Trommel-Performance
Uwe Appold, Maler und Bildhauer, Flensburg, Annegret Wegner-Braun, Pastorin an St. Marien Lübeck
Sonntag 02.11.2014 / 10.00 Uhr / St. Marien
Gottesdienst in der Predigtreihe : „Selig sind, die Frieden stiften“
„Wozu sind Kriege da?“ (Udo Lindenberg)
Robert Pfeifer, Pastor an St. Marien Lübeck
Sonntag 02.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Vortrag: Die Stadt Lübeck und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs
Prof. Dr. Arnd Reitemeier, Universität Göttingen, Institut für Historische Landesforschung
Die Tage unmittelbar vor Kriegsausbruch 1914 und ganz besonders die nachfolgende Woche brachten einen ebenso raschen wie tiefgreifenden Wandel für die Bewohner der Stadt Lübeck. Die Reservisten rückten ein, die Regimenter verließen die Stadt, die Industrie und der Hafen kamen zum Stillstand. Der Vortrag spürt den Entwicklungen nach und konzentriert sich dabei auf die Änderungen in Lübeck im August 1914.
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Mittwoch 05.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Lesung: Bruderkrieg
Texte von Heinrich und Thomas Mann im Ersten Weltkrieg
Einführung: Käte Antonia Richter, Buddenbrookhaus Lübeck
Es lesen: Thomas Schreyer, Schauspieler am Theater Lübeck, Will Workman, Schauspieler am Theater Lübeck
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges entzweiten sich Heinrich und Thomas Mann aufgrund ihrer gegensätzlichen politischen Positionen und wechselten für mehrere Jahre kein Wort miteinander. Ihre Kommunikation verlagerten sie vom Privaten ins Öffentliche. In ihren politischen Publikationen entwickelte sich ein Dialog im Krieg, der einen personalisierten Zugang zum geistesgeschichtlichen Konflikt während des Ersten Weltkrieges bietet.
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Sonntag 09.11.2014 10.00 Uhr St. Marien
Gottesdienst in der Predigtreihe: „Selig sind, die Frieden stiften“
„Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht? (Herbert Grönemeyer)
Annegret Wegner-Braun, Pastorin an St. Marien
Sonntag 09.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Vortrag: Deutsche & französische Frauen im Ersten Weltkrieg – Im Widerstand gegen Nationalismus und Hurrapatriotismus
Dr. Florence Hervé, deutsch-französische Journalistin, Zeithistorikerin und Frauenrechtlerin, Düsseldorf
Wie sah der Erste Weltkrieg zu Hause aus, wie veränderte er den Alltag? In welchen Rollen waren Frauen involviert? Wie haben auch Frauen Widerstand geleistet? Wie veränderten sich die Geschlechterrollen
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Mittwoch 12.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Vortrag: Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube. Die Kirchen des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg
Dr. Jörn Halbe, Pastor und Rektor i.R., Lübeck
Und die Kirchen? Im aktuellen Erinnern des Ersten Weltkrieges führen sie ein Schattendasein. Aber wohl keine gesellschaftliche Gruppe hat die Kriegsanstrengungen des Deutschen Reiches von Anfang bis Ende mit größerer Entschiedenheit unterstützt als sie. Sie waren mit allen Registern dabei, als die Nation im August 1914 siegesgewiss zu den Fahnen gerufen wurde. Und da der Kriegsverlauf nicht hielt, was sie den Menschen versprochen hatten, erlagen sie demselben „Zwang zum Sieg“ (J. Leonhard) wie die Politiker und Militärs. Es gab den Einspruch christlichen Gewissens. Es gab ihn in den Stimmen Einzelner, gab ihn zumal in der internationalen Friedensarbeit von Frauen und gab ihn in Ansätzen ökumenischer Versöhnungsarbeit: Anweisungen auf eine damals noch sehr ferne Zukunft.
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Sonntag 16.11.2014 / 10.00 Uhr / St. Marien
Gottesdienst in der Predigtreihe: „Selig sind, die Frieden stiften“
„Vielleicht hören sie nicht hin… (Xavier Naidoo) Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde!“
Petra Kallies, Pröpstin im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
Sonntag 16.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Lesung: Die Büchse der Pandora
Prof. Dr. Jörn Leonhard, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des Romanischen Westeuropa an der Universität Freiburg
Jörn Leonhards Gesamtgeschichte des Ersten Weltkriegs zeigt, wie die Welt in den Krieg hineinging und wie sie aus ihm als eine völlig andere wieder herauskam. Vielschichtig und europäisch vergleichend erzählt er die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Vor allem lässt er die Erfahrungen ganz unterschiedlicher Zeitgenossen wieder lebendig werden: von Militärs, Politikern und Schriftstellern, Männern und Frauen, Soldaten und Arbeitern - so als wäre damals die Büchse der Pandora geöffnet worden, jenes Schreckensgefäß der antiken Mythologie, aus dem alle Übel der Welt entwichen, als man gegen den Rat der Götter seinen Deckel hob.
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Mittwoch 19.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien
Gottesdienst zum Buß- und Bettag in der Predigtreihe: „Selig sind, die Frieden stiften“
Dieterich Buxtehude
Kantate „Nimm von uns, Herr, du treuer Gott“ BuxWV 78
Robert Pfeifer, Pastor an St. Marien
Predigt: Reverend Derek Earis, York
Lübecker Knabenkantorei, Musica Baltica Rostock,
Leitung: Marienkantor Michael D. Müller, Marienorganist Johannes Unger
Sonntag, 23.11.2014 / 19.00 Uhr / St. Marien, Briefkapelle
Lesung: „Die Wirklichkeit ist verrückt. Vergessmaschinen sind wir.“ (Henri Barbusse 1873-1935)
Lyrik, Prosa und Jazz zum Ersten Weltkrieg
Von Heym und Owen bis Jünger und Schivelbusch
Musik: Knud Feddersen Quartett
Es liest: Andreas Hutzel, Theater Lübeck
Eintritt: 8 €, ermäßigt: 5 €
Mittwoch 26.11.2014 / 19.00 / 18 Uhr / St. Marien
Führung durch die Ausstellung mit Uwe Appold
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Das vollständige Programm des Themenmonats finden Sie in unserem Downloadbereich.