St. Marien: Nagelkreuz - Eine besondere Gemeinschaft, Sommer 2016

Auszeit: Elena Launer hat sich in der englischen Stadt York auf ihr Studium vorbereitet. Eher durch Zufall hat sie das Nagelkreuz-Zentrum entdeckt – und damit ein unsichtbares Band zu ihrer Heimatstadt Lübeck.

Auszeit: Elena Launer hat sich in der englischen Stadt York auf ihr Studium vorbereitet. Eher durch Zufall hat sie das Nagelkreuz-Zentrum entdeckt – und damit ein unsichtbares Band zu ihrer Heimatstadt Lübeck.

Elena Launer will Musik und Englisch auf Lehramt studieren. Um gut für die Aufnahmeprüfungen gewappnet zu sein, hat sie kurzerhand ihr Cello eingepackt und ist für ein paar Monate nach England gegangen. Üben, Sprache, Kultur und Lebensart kennenlernen. Durch einen Hinweis aus Lübeck hat sie Jane Nattrass besucht. Sie ist Pastorin in einer Innenstadtkirche von York. Dort hängt das Nagelkreuz von Coventry. Genau wie in der Lübecker Marienkirche.

York und Lübeck sind Mitglieder in der weltweiten Nagelkreuz-Gemeinschaft. Bereits vor 45 Jahren wurde das Nagelkreuz von Coventry an die Hansestadt übergeben und hat seitdem seinen Ort im Südturm der Marienkirche. Seit vielen Jahren findet das Friedensgebet nach der Coventry-Liturgie statt. Immer freitags, immer um 12 Uhr – in Lübeck und weltweit.

Elena Launer ist in York einfach in einen klassischen Sonntagsgottesdienst gegangen. „Zuerst saß ich dort ziemlich allein“, erinnert sich die 19-Jährige. Doch es scheint so zu sein, als kämen die Engländer recht knapp zum Gottesdienst. Dieser sei zudem ganz anders als in Lübeck. Die Liturgie sei starr, es gebe viele feste Texte. Doch die Gemeinde kenne sich gut. Das Interesse an der jungen Lübeckerin war groß. „Ich wurde im Gottesdienst begrüßt und habe dort das Vaterunser auf Deutsch gebetet. Das war eindrücklich.“ Im Anschluss gab es Kaffee und die Gelegenheit zum Erzählen. Dieses erste Treffen mit Pastorin Jane Nattrass war der Anfang von jeder Menge deutsch-englischer Beziehungsarbeit. Das Nagelkreuz ist erst vor wenigen Jahren nach York gekommen. Aber es hat in der Gemeinde einen hohen Stellenwert. Die Aufgabe, Versöhnung zu gestalten, ist für die Gemeindemitglieder selbstverständlicher Teil, auch im Gottesdienst. „Das Friedensgebet nach Coventry gehört zum sonntäglichen Ablauf dazu“, sagt Elena Launer, für die sich über das Nagelkreuz das Thema Versöhnung aufgetan hat.

Sie erzählt gern von den Begegnungen, die sich durch das Nagelkreuz in York ergeben haben. Nicht nur der Kontakt zu den Engländern selbst hat Elena Launer weitergebracht. Drei Jugendliche aus Polen, den USA und Deutschland haben unabhängig von ihr das Nagelkreuz in York besucht. Sie hatten einen Abstecher von Coventry, dem Ursprungsort des Kreuzes, nach York unternommen.

Coventry ist zu einem Symbol geworden: Die Stadt wurde während des zweiten Weltkriegs von den Deutschen bombardiert. Ein Steinmetz fand am Morgen nach der Zerstörung Coventrys zwei verkohlte mittelalterliche Dachbalken in den Trümmern der Kathedrale. Sie waren in Form eines Kreuzes aufeinander gefallen. Er band sie zusammen, stellte sie in der Ruine auf. Einige Zeit später ließ der Dompropst den Anfang des Kreuzeswortes Jesu auf die Wand hinter der Altarruine schreiben, mit einem Stück verkohltem Holz: „Vater, vergib“.

Von Coventry aus begann also eine Versöhnungsarbeit, die sich bis heute weltweit weiterentwickelt. Ein Schwerpunkt der Nagelkreuzgemeinschaft ist die Jugendarbeit. Sie organisiert Konferenzen, auf denen sich Jugendliche aus aller Welt begegnen. Misstrauen abbauen, einander kennenlernen, Fremdheit durch offenen Dialog überwinden – all das hat auch Elena Launer erlebt.

Die Jugendlichen aus Polen, den USA und Deutschland gestalteten gemeinsam mit Jugendlichen aus der Gemeinde in York einen Gottesdienst. Das Vaterunser wurde in drei Sprachen gesprochen. „Auch wenn man die Worte nicht versteht, man weiß durch den Rhythmus und die Andacht, dass es sich um das eine Gebet handelt“, erinnert sich Elena Launer an diesen Moment. „Hier habe ich eine Gemeinschaft erlebt, die besonders war.“

Die Lübecker Mariengemeinde hat das Festwochenende anlässlich der Nagelkreuz-Übergabe vor 45 Jahren zum Anlass genommen, das Thema verstärkt zu bearbeiten. Eine Gruppe Engagierter will sich der großen Frage stellen: Wie geht Versöhnung heute?

„Das Anliegen der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft ist heute ungebrochen aktuell“, sagt Marienpastor Robert Pfeifer. „Extremismus und Gewalt bedrohen weltweit den Frieden.“ Die Arbeit für Versöhnung sei dringlicher ist denn je.