St. Marien: Nagelkreuz mahnt zur Versöhnung, 01.-03.07.2016

Vor 45 Jahren ist das Nagelkreuz von Coventry nach Lübeck gekommen. Das Kreuz mahnt bis heute Versöhnung und Vergebung an. Die Lübecker Mariengemeinde feiert den Jahrestag und ihn vom 1. bis 3. Juli 2016 unter das Thema „Versöhnung heute?“.

  Vor 45 Jahren ist das Nagelkreuz von Coventry nach Lübeck gekommen. Das Kreuz mahnt bis heute Versöhnung und Vergebung an. Die Lübecker Mariengemeinde feiert den Jahrestag und ihn vom 1. bis 3. Juli 2016 unter das Thema „Versöhnung heute?“. Neben der Lübecker Stadtöffentlichkeit haben auch Vertreter aus Coventry, York sowie der Nagelkreuzgemeinschaft Deutschland  ihren Besuch in Lübeck zugesagt.

„Das Anliegen der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft ist heute ungebrochen aktuell“, sagt Marienpastor Robert Pfeifer. „Extremismus und Gewalt bedrohen weltweit den Frieden.“ Die Arbeit für Versöhnung sei dringlicher ist denn je.
Die Mariengemeinde will mit den Tagen Anfang Juli ein Zeichen setzen. „Für Toleranz und Verständigung – als Teil eines internationalen Netzwerkes, das sich um Versöhnung zwischen ehemalig und auch gegenwärtig verfeindeten Menschen und Völkern bemüht“, so Marienpastorin Annegret Wegner Braun.

Öffentliches Programm

Erster öffentlicher Programmpunkt ist das Friedensgebet nach der Coventry-Litanei am Freitag, 1. Juli 2016 um 12 Uhr in St. Marien. Dieses Gebet wird an jedem Freitag im Jahr in weltweit und in St. Marien gesprochen. Es bekommt in der Gemeinschaft mit den englischen Gästen zum Jahrestag eine besondere Aufmerksamkeit.
Ab 21 Uhr lädt die Mariengemeinde dann zum politischen Nachtgebet ein.  Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Pastorin Annegret Wegner-Braun hat es unter den Titel „KreuzWege“ gestellt. Inhaltlich wird es um die Entstehung der Nagelkreuz-Bewegung gehen und diese in die Gegenwart stellen: „Wie können wir heute Versöhnung anstiften und leben? Wer sind die Menschen in unserem Land und weltweit, die unser Engagement an dieser Stelle brauchen? – diese Fragen tragen uns in der Vorbereitung“, sagt Pastorin Wegner-Braun.
Am Sonnabend, 2. Juli 2016 gibt es um 12 Uhr das Wort zum Alltag mit dem Mädchenchor Canta!. Der offizielle Festakt findet um 19 Uhr in St. Marien statt. Vier Studenten aus England sorgen für den musikalischen Rahmen. Ministerpräsident a. D. Björn Engholm wird in diesem Rahmen zum Thema Versöhnung reden. Er war 1971 dabei, als das Nagelkreuz an die Hansestadt Lübeck übergeben und in St. Marien beheimatet wurde. Für die Stadt wird Kultursenatorin Kathrin Weiher sprechen. Petra Kallies, Pröpstin im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg und Dr. Dr. Sarah Hills von der Coventry Cathedral halten ein Grußwort.
Im Anschluss gibt es ein Konzert mit Marienorganist Johannes Unger, der Laurenscantorij der Laurenskerk Rotterdam und der Lübecker Knabenkantorei.
Ein großer Festgottesdienst mit Abendmahl am Sonntag, 3. Juli 2016 um 10 Uhr beschließt die Feierlichkeiten rund um den Jahrestag. Dr. Dr. Sarah Hills wird die Predigt in St. Marien halten.

Das Wochenende in Lübeck ist auch für die Gemeinde und ihre Partner in der Nagelkreuzgemeinschaft eine besondere Gelegenheit, sich auszutauschen. Seit einigen Jahren pflegt St. Marien beispielsweise einen guten Kontakt zum Nagelkreuzzentrum in York. Reverend Jane Natrass kommt ebenfalls nach Lübeck, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen und aktiv an dem Versöhnungsgedanken im Sinne Coventrys nachzudenken.

Nicht den Festakt als solches zu fokussieren sondern den Jahrestag als Anlass zu einem Blick auf die Versöhnung zu werfen, ist für die Mariengemeinde wichtig. „In Deutschland und Europa dringt die Feindlichkeit gegenüber Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen schleichend immer weiter vor. Auch die Intoleranz gegenüber anderen Religionen. Es ist an uns, sich nicht infizieren zu lassen und deutlich zu sagen, wofür wir stehen“, sagt Annegret Wegner-Braun.
„Versöhnung hilft, die Spirale von Gewalt und Vergeltung zu durchbrechen“, so Robert Pfeifer. „Eine friedliche Zukunft ist möglich, wenn Menschen den Auftrag annehmen, Friedenstifter zu sein."

Drei Nägel - ein Kreuz

Die langen, eisernen Nägel haben hunderte von Jahren die schweren Eichenbalken getragen. Doch die gewaltige Wucht der deutschen Bomben hat die Kathedrale von Coventry am 14. November 1940 vernichtet. Nur die Außenmauern der eindrucksvollen Kirche mitten in England blieben stehen.

Kirche ohne Turm, brennendes Gebälk, zerborstene Glocken: Knapp zwei Jahre später prägten Trümmer auch Lübeck. Eine neue Stufe der Bombardierung durch die Briten zerstörte in der Nacht auf den 29. März 1942 die einst stolze Hansestadt. Eine Woche vor Ostern, an Palmarum, waren Lübeck und die  jahrhundertealte Geschichte in Schutt und Asche gelegt.
Mehr als 300 Tote, 1500 Häuser wurden zerstört, die Hälfte der Innenstadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Besonders schlimm traf es die Marienkirche. Stundenlang wütete hier das Feuer. Die Glocken stürzten aus dem brennenden Südturm herab.

Der Schriftsteller Thomas Mann, Lübecker im Exil, sagte einige Tage nach Palmarum 1942 „Das geht mich an. Es ist meine Vaterstadt. Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.“

Auch die Innenstadt Coventrys existierte am Morgen nach der Bombennacht im November 1940 nicht mehr: 550 Menschen kamen bei dem Angriff der Deutschen ums Leben. 4330 Häuser wurden vernichtet, unersetzliche Kulturgüter waren auf immer verloren.
Ein Steinmetz fand am Morgen nach der Zerstörung Coventrys zwei verkohlte mittelalterliche Dachbalken in den Trümmern der Kathedrale. Sie waren in Form eines Kreuzes aufeinander gefallen. Er band sie zusammen, stellte sie in der Ruine auf.
Einige Zeit später ließ Dompropst Richard Howard den Anfang des Kreuzeswortes Jesu auf die Wand hinter der Altarruine schreiben, mit einem Stück verkohltem Holz: „Vater, vergib“. Es heißt, er habe bewusst auf das dritte Wort „Vater, vergib ihnen“ verzichtet. Denn nicht nur der Feind, sondern „wir alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten“, hatte Paulus in der Bibel geschrieben. Zusammen mit einem weiteren Pauluswort entstand 1959 das Versöhnungsgebet von Coventry. Für den Dompropst bedeutete das „Vater, vergib“ die Pflicht, dem Feind die Hand zu reichen.
Bereits am Weihnachtstag 1940 hatte er in einer landesweiten Rundfunkübertragung aus der Ruine der Kathedrale dazu aufgerufen, keine Rache zu üben. Vielmehr sollte nach dem Ende des Kriegs gemeinsam mit dem Feind an einer freundlicheren Welt gearbeitet werden. Als Zeichen dieser Verpflichtung und Verheißung formte Pfarrer Arthur Wales mit drei Zimmermannsnägeln aus den Dachbalken ein „Nagel-Kreuz“.

Von Coventry aus wurde es weitergegeben, zuerst nach Kiel, später nach Dresden. 1971 hat die Hansestadt Lübeck das Nagelkreuz verliehen bekommen. Wohin mit so einem wichtigen Zeichen? In der Marienkirche hat es nicht irgendeinen sondern genau den richtigen Platz gefunden - erst in der Bürgermeisterkapelle und später im Südturm.
Die zertrümmerten Glocken von St. Marien sollten liegen bleiben – 1942 eine Propaganda-Maßnahme der Nazis. Heute mahnen sie zusammen mit dem Nagelkreuz von Coventry Vergebung und Versöhnung an.