Die Seele stärken in Zeiten, in denen die Seele besonders leidet: Das ist derzeit die Hauptaufgabe der Telefonseelsorge. In Zeiten von Corona ändern sich die Sorgen und Ängste der Anrufer schnell. 82 ehrnamtliche Seelsorger:innen kümmern sich in der Hansestadt um die Anrufer.
Pastoren unterstützen Telefonseelsorge in Corona-Krise
Pastorin Marion Böhrk-Martin weiß, was die Menschen bewegt. Die Leiterin der Lübecker Telefonseelsorge verfolgt gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen, wie sich die Sorgen der Menschen in der Corona-Krise verändern. „Am Anfang hatte nahezu jeder Anruf mit Corona zu tun“, sagt Böhrk-Martin. „Die Menschen hatten Angst vor dem Virus, vor der Ansteckung, vor der Erkrankung.“ Weil die Zahl der Anrufe anstieg, habe die Telefonseelsorge in der Hansestadt ihre Präsenz verstärken müssen, erzählt die Chefin. So wurde unter anderem eine zweite Telefonleitung geöffnet. Weil dadurch mehr Dienste anfielen, haben Pastoren die Telefonseelsorge verstärkt. „Zehn Kollegen aus den Gemeinden, die seelsorgerisch tätig sind, haben unser Team ergänzt.“ Mittlerweile hätten sich diese Pastoren wieder zurückgezogen, denn in den Gemeinden läuft ihre reguläre Arbeit nach den Corona-Lockerungen mittlerweile wieder an.
Die Krise und ihre Folgen machen Angst
Trotzdem: Die Dienste bei der Telefonseelsorge seien „super besetzt“, sagt Marion Böhrk-Martin. Die Ehrenamtlichen arbeiten in Zwei- bis Vier-Stunden-Schichten, die Nachtschicht ist durchgängig vor Ort. Rund 70 bis 80 Anrufe nehmen die Mitarbeiter pro Tag entgegen – durch die zweite Leitung sind es wesentlich mehr als in Nicht-Krisen-Zeiten. Ende April, nach knapp sechs Wochen Pandemie-Geschehen, hätten sich die Inhalte der Telefonate allerdings verändert, erzählt Pastorin Böhrk-Martin: „Mittlerweile befassen sich nur noch 50 Prozent der eingehenden Anrufe mit dem Thema ,Corona‘.“ Und auch die Inhalte der Corona-bedingten Anrufe hätten sich gewandelt: „Es geht jetzt um die Folgen der Krise, um Existenzängste, um Kurzarbeit, Angst vor dem Verlust des Jobs oder dem Verlust der Wohnung“, so Böhrk-Martin. Themen seien aber auch häusliche Gewalt oder Alkoholmissbrauch. „Viele halten einfach die Ungewissheit nicht aus“, weiß die Pastorin.
Psychisch erkrankte Menschen durch Krise besonders getroffen
Die Ängste, die die Krise bei vielen weckt, werden bei denen noch verstärkt, die ohnehin schon belastet sind: Menschen, die psychisch erkrankt sind, die mit Traumatisierungen oder Angststörungen kämpfen, leiden gerade besonders stark, sagt die Leiterin der Lübecker Telefonseelsorge. Denn: In der Corona-Krise seien viele Beratungsstellen geschlossen worden, erkrankte Menschen hätten keine Möglichkeit mehr, zu ihren Therapien zu gehen. „Viele dieser Menschen fahren gerade richtig runter, sind am Telefon kaum noch dialogfähig“, erzählt Böhrk-Martin aus ihrer Erfahrung. Die Politik hätte diese Folgen der Krise und des Shutdowns überhaupt nicht bedacht, so Böhrk-Martin, das sei dramatisch. Diese Menschen müssten viel mehr in den Fokus der Entscheider rücken.
Einsamkeit: Viele Anrufe aus Altenheimen
Zudem befürchtet die Leiterin der Telefonseelsorge, dass die Corona-Krise psychische Erkrankungen fördern wird: „Einsamkeit ist ein guter Nährboden für Depressionen.“ Derzeit erreichen die Telefonseelsorge deshalb auch viele Anrufe aus Alten- und Pflegeheimen. „Für nicht wenige alte Menschen sind die Einschränkungen schrecklicher als das Virus selbst.“ „Wann ist das endlich zu Ende?“ würden gerade ältere Anrufer wissen wollen. Auch viele Angehörige von Menschen in Heimen riefen an und ließen „Dampf ab“, weil sie ihre Verwandten lange nicht besuchen konnten. „Die Folgen der Krise werden fatal sein“, mutmaßt Mari Böhrk-Martin.
Team der Telefonseelsorge sucht Verstärkung
Um darauf vorbereitet zu sein, sucht die Telefonseelsorge Lübeck weitere ehrenamtlich tätige Menschen. Der nächste Ausbildungskurs beginnt Ende des Jahres, vermutlich im Oktober oder im November. Die Mitarbeiter erhalten Schulungen und Supervision. Wer das Team verstärken möchte, kann sich unter Telefon 0451 / 30 24 81 an die Telefonseelsorge wenden. Das Beratungstelefon ist erreichbar unter den Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800/111 0 222.