Am 19. November 2025 ist Theo Dräger im Alter von 87 Jahren verstorben. Am 3. Dezember nahmen Angehörige und Wegbleiter im Dom Abschied. Copyright: Lübecker Nachrichten / Alice Kranz-Pätow
Lübeck. Im Lübecker Dom haben am 3. Dezember 2025 Familie und Wegbegleiterinnen und -begleiter Abschied vom Unternehmer Theo Dräger genommen. Dräger war am 19. November im Alter von 87 Jahren gestorben. Er hat von 1997 bis 2005 das Familienunternehmen Dräger geleitet und geprägt. Als Vorsitzender des Bauvereins St. Petri hat er sich maßgeblich für die Restaurierung der Lübecker Kirche eingesetzt.
Abschied von Theo Dräger im Lübecker Dom
Aufgrund des aktuell stattfindenden Kunsthandwerkermarktes konnte die Trauerfeier nicht in St. Petri abgehalten werden. Stattdessen wurde daher der Dom ausgewählt. Hier leitete Petri-Pastor Bernd Schwarze den feierlichen Abschied. “Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.” (Hebr. 13,14) - Dieser Satz aus der Bibel stand der Trauerfeier für Theo Dräger voran. In seiner Begrüßung erinnerte Schwarze an Drägers (geb. 19. Februar 1938) Kindheit in der Zeit des zweiten Weltkrieges:
“Von Theo Dräger Abschied zu nehmen, seines Lebens und Wirkens feiernd zu gedenken, bedeutet auch, das biblische Wort von der Stadt, die nicht bleibt, in seiner Mehrdeutigkeit zu betrachten. Er selbst war noch ein Kind, als von dieser Stadt, in deren Mitte wir uns heute treffen, nicht viel geblieben war. […] Drei von den fünf großen Kirchen lagen in Schutt und Asche. Dass sie heute wieder in solcher Schönheit erstrahlen, auch wenn wir niemals ruhen dürfen, uns über ihren Erhalt Sorgen zu machen - dass es sie noch und wieder gibt, haben wir Menschen wie ihm zu verdanken. […] St. Petri, die zuletzt wiedererstandene Kirche, hatte es ihm dabei besonders angetan, und St. Petri ist unendlich dankbar für sein treues Wirken.”
Die Trauerrede von Pastor Bernd Schwarze
Liebe Frau Dräger, liebe Familie, werte Trauergemeinde!
Er war dezent. Noch am Tag des Empfangs der traurigen Nachricht kamen mir so viele Erinnerungen an Begegnungen aus fast dreißig Jahren in den Sinn, ein paar ernste und viele heitere. Und bald fragte ich mich: Welches Attribut, welche besondere Eigenschaft, willst du nennen, die Theo Dräger, so wie du ihn kanntest, treffend beschreibt. Und nein, es war nicht das vielbemühte „hanseatisch“, welches historisch betrachtet ja auch manch fragwürdige Eigenart in einem klangvollen Prädikat mitversteckt. Nein, dieses etwas sperrige Wort „Dezenz“ wollte mir nicht aus dem Kopf. Vereinigt es doch Haltungen wie Anstand, Zurückhaltung und Bescheidenheit in sich. Dezenz ist in unserer Zeit nur noch selten zu finden. Laut ist es inzwischen wieder geworden, Höflichkeit lässt sich entschuldigen. Und immer wieder gleißendes Licht auf jede gute oder vermeintlich gute Tat, knalliges Spotlight auf die selbsternannten Wohltäter. Theo Dräger war dazu das reine Gegenteil. Dezent, eben.
Erinnerung an die erste Begegnung
Was war ich war aufgeregt, als ich ihm zum ersten Mal begegnen sollte! Ich noch jung und frisch im Amt, der Anlass: eine Sitzung des St. Petri Bauvereins, späte neunziger Jahre. Bestenfalls das Herannahen einer blitzblanken Limousine ließ ahnen, dass gleich der Lenker eines global agierenden Konzerns auf mich zukommen würde. Aber ansonsten? Als er dem Wagen entstieg: Nicht der Ansatz einer mächtigen Pose, gewiss korrekt gekleidet mit dunklem Anzug, gestärktem Hemd und Krawatte. Aber er trug die Business-Kleidung so, als hätte man ihn in ein Bühnenkostüm genötigt, das er sich nicht ausgesucht hatte. Und dazu diese Aktentasche … „Theo hat ein gestörtes Verhältnis zum Luxus“, zitierte er gern die Aussage eines anderen über sich selbst. Beinahe schüchtern gab er mir die Hand, und ich mochte ihn sofort.
Große Summen für St. Petri eingeworben
Tapfer leitete er die recht öde Vorstandssitzung, und das immer wieder über viele Jahre, fast stoisch gelassen, und doch mit spürbarem Herzblut in der Sache. Und so leise, dass wir die Protokollantin stets in seine unmittelbare Nähe setzten. Wir anderen lauschten und legten zur Verstärkung die Hände an die Ohren. Immer wieder bedankte er sich für unsere gute Arbeit, so dass wir fast vergaßen, dass dieses Instrument zur Mitteleinwerbung für St. Petri eigentlich die Person Theo Dräger in Vereinsform war. Ging es um große Summen, so wurde als Hauptspender stets ein gewisser Theo Dräger genannt. Und immer wieder mal hatte er im Kreise der Familie mit Erfolg herumgefragt, ob vielleicht jemand zur noch bestehenden Finanzierungslücke einen nicht zu bescheidenen Betrag beisteuern könnte. Nach einer Stunde Sitzung war es geschafft. Oder?
Nein, denn auf die Vorstandssitzung folgte noch die Mitgliederversammlung. Denn falls noch ein Mitglied mehr als die Vorstandsrepräsentanten erschien – und manchmal kam buchstäblich nur einer – wurde das gesamte Ritual noch einmal quasi wortgleich durchgezogen, inklusive so wichtiger Informationen, dass im laufenden Jahr 38 Euro 80 durch den Verkauf von Gedenkmünzen verbucht werden konnten. Der Kaufmann, verlässlich und korrekt bis auf den Cent.
Und großzügig, auch weit über die Vereinsverpflichtungen hinaus. „Lieber Herr Dräger, der Flügel in St. Petri ist für manche Virtuosen, die bei uns spielen, kaum noch zumutbar. Wir haben uns da mal einen neuen angeschaut …“ – „Ach, nennen Sie mir die Summe, und ich werde mich darum kümmern.“ Tage später war das Geld auf dem Konto. Bald darauf hatten wir den Spender im Anschluss an eine Sitzung mit einem Dankeschön-Konzert eines tollen Pianisten überrascht. In seinem Gesichtsausdruck las ich, dass er sich durchaus freute, aber dass ein so üppiger Dank schon ein bisschen viel des Guten war.
Was konnte man Theo Dräger zurückgeben?
Sich zu revanchieren, war nahezu unmöglich. So war es mir eine Ehre, als er mich eines Tages fragte, ob ich für seine Tochter Anke und ihren Axel den Gottesdienst zur Trauung halten würde und zugleich die kleine Hanna taufen. Es war ein schönes Familienfest in Travemünde mit einer kleinen Stolperfalle, die ich mit ein wenig liturgischer Akrobatik zu überspringen wusste. Den Tag werde ich nie vergessen.
Nur einmal konnte ich wirklich etwas zurückgeben, und zwar in der letzten Minute vor einem festlichen Förderertreffen in St. Petri. Theo Dräger saß, pünktlich wie immer, bereits auf seinem Platz. Die Tür ging auf, und Frau Lisa Dräger eilte herein, wirkte ungehalten und winkte. Ein Mann mit einem Autoschlüssel folgte ihr. Schnell ging ich auf sie zu. Sie hätte ihr Portemonnaie vergessen, klagte sie, und könne jetzt den Taxifahrer nicht bezahlen. Ich bat sie, Platz zu nehmen und gab dem Fahrer einen Schein. Und schon war Theo Dräger mit gezückter Börse herbeigeeilt, um den Schaden zu begleichen. Spontan entfuhr mir: „Lieber Herr Dräger, bitte erlauben Sie es mir für meine Memoiren: dass ich ein einziges Mal Familie Dräger aus einer finanziellen Notlage heraushelfen konnte.“ Er ließ mich gewähren und lachte, verschmitzt und leise in sich hinein. „Theo ist leicht zu erheitern“, auch das sagte er einmal über sich. Nahm vieles mit Humor und brachte seinen Töchtern aus dem reichen Schatz der von ihm geliebten Gedichte ausgerechnet „Dunkel war’s, der Mond schien helle“ als erstes bei.
Fürsorglicher Familienmensch Theo Dräger
Theo Dräger: der Geschäftsmann, der engagierte Denkmalretter und Stifter, zuallererst im Herzen jedoch ein Familienmensch, der, auch wenn die Zeit es manchmal nicht erlaubte, das Beisammensein mit seinen Liebsten am meisten schätzte. Loyal und treu zu seiner Herkunftsfamilie, fürsorglich und liebevoll mit der Familie, die ihm geschenkt werden sollte.
Theo, der auch noch Hermann und Friedrich und in der Mitte eigentlich Theodor hieß, er wollte stets nur Theo sein. Denn da gab es einmal einen Theo Wagner, der seinem Vater im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet hatte und dabei selbst zu Tode kam. Dieser Name war ihm eine Ehre, eine Pflicht. Nach den Schuljahren in bewegten Zeiten wollte er zunächst Lehrer für Geschichte und Erdkunde werden, entdeckte dann sein Interesse am Handel und studierte Wirtschaft mit dem Ziel, Steuerberater zu werden. Doch schon bald rief ihn sein Bruder Christian, der seine Talente zu schätzen wusste, ins Unternehmen, dem er dann über Jahrzehnte diente und dessen vollmächtiger Chef er schließlich acht Jahre lang war. Erfolgreich trotz seines zurückhaltenden Führungsstils, oder gerade deswegen. Weil er den ihm Anvertrauten Raum gewährte, eigene Impulse einzubringen. Tolerant und offen, mit Respekt für Sichtweisen anderer.
Dräger ist nun kein Konzern, der irgendwelche Waren vertreibt, sondern hochsensible Geräte, die Leben retten. Einmal bin ich im Aufwachraum einer Klinik zu Bewusstsein gekommen, vorübergehend ängstlich und verwirrt. Als ich den Kopf wandte, las ich auf den mich umgebenden Apparaten einen mir vertrauten Familiennamen und wusste mich gleich in guten Händen.
In guten Händen wusste er sich im Kreise seiner Lieben. Liebe Frau Dräger, die Frage, wie sie beide sich kennengelernt haben, beantwortete er schmunzelnd-knapp mit „beim Abwaschen“. Da gab es damals in den Hippiezeiten so eine Ferienwohnung, in der junge Menschen zusammenkamen. Und während die anderen träge im Gemeinschaftsraum abhingen und zu den näselnden Gitarrensounds von Carlos Santana dösten, wurde es Petra und Theo zu schmuddelig und zu bunt, und sie machten sich daran, monströse Mengen verschmutzten Geschirrs zu spülen. Aus dem Handtuchhalten wurde bald ein Händchenhalten, und es wuchs eine Liebe, eine Ehe, der fast fünfzig Jahre beschieden waren. Seine Töchter, die heranwachsende Familie, die Enkel Hanna, Max und Tom, ein großes Geschenk für ihn, für Sie beide.
Verschiedene Hobbies und Interessen
So viele Jahre. So viel Unerzähltes, so viel Besonderes über den Mann, den wir heute betrauern, so vieles, das den Außenstehenden verblüfft und überrascht. Theo, der Bergsteiger, der Skiläufer, der Abenteurer, der die USA allein bereiste, der Marathonläufer, der Mann, der noch im hohen Alter selbst bei Eiseskälte in den Kleinen See sprang und darin schwamm. Der alte Bücher sammelte, Wagner verehrte und Andrew Lloyd Webber– und Elvis! – und Westernfilme liebte. So viele gute Jahre. Der Tod seines Bruders Christian im vergangenen Jahr, es war vielleicht wie ein Zeichen für ihn, dass auch seine Zeit gekommen war? Monate des Hoffens und Bangens für die ganze Familie, dann ein Abschied im Frieden. Liebevoll umsorgt von den Seinen ließ er dieses Leben ruhen. Wir haben hier keine bleibende Stadt. Und nun?
Als ich Pröpstin Petra Kallies, die Theo Dräger ebenfalls sehr schätzte, die Todesnachricht überbrachte, schrieb sie als Antwort einen Satz: „Möge er den Himmel mit seiner bescheidenen und verlässlichen Art bereichern.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Oder doch? Lassen wir noch ein wenig mehr Raum für unsere Hoffnungen und Träume. Niemand weiß genau, was da geschieht, wenn die irdische Stadt unseres Lebens vergeht und sich in eine zukünftige verwandelt. Aber das, was wir denken und dichten ist ebenso ein Teil der Wirklichkeit wie alles, was wir messen und wissen können.
Ausblick auf das himmlische Jerusalem
Wenn der Seher Johannes im letzten Kapitel der Bibel von der zukünftigen Stadt, dem himmlischen Jerusalem, berichtet, dann beschreibt er eine Stadt voller Glanz und Licht, erbaut aus Gold und Edelsteinen mit Toren aus Perlen. Es gibt dort alles, allerdings keinen Tempel, keine Kirche. Denn es sei ja nun alles vollkommen, und der irdischen Provisorien des Himmels bedürfe es nicht mehr.
Und ich sah Theo Dräger die zukünftige Stadt erkunden. Es geht ihm gut, doch ist er nur in Teilen entzückt. Dieser Prunk, dieser Goldschmuck. Er hat noch immer ein gestörtes Verhältnis zum Luxus. Und er fragte einen Passanten, wo denn die sieben Türme geblieben seien. Und der antwortete und sprach: „Die Zeit der Kirchen ist vorbei. Sieh nur, es ist nun alles neu.“ (Sie reden in Versen da drüben.) Theo gab zu bedenken: „Was ist denn das Neue schon wert, wenn man das Alte, Bewährte nicht ehrt?“
Da erblickte er einen Haufen Backsteine inmitten all der Smaragde und Amethysten. Und er rief ganz viele zusammen, die es dank guter Führung auch dorthin geschafft hatten. Und in einer Nacht erbauten sie gemeinsam fünf Kirchen und sieben Türme neu. Und als der Morgen kam, war die himmlische Stadt schöner denn je. Und einer freute sich. Und schmunzelte. Ganz dezent.