Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Was ist eine musikalische Passion?

In den Wochen vor Ostern erklingen in den Kirchen Lübecks und Lauenburgs wieder viele Passionen. Ob sie alle stattfinden können, ist aufgrund der aktuellen Sicherheitsmaßnahmen aufgrund des Corona-Virus noch unklar. Aktuelle Informationen zu Absagen und Veränderungen bei Veranstaltungen und Gottesdiensten werden zentral gesammelt.

Aber was ist eigentlich eine musikalische Passion - und wo kann man sie hören? Ein Spaziergang durch die Geschichte dieser Gattung und Termin-Tipps zum eigenen Erleben der Musik. 

Gesungene Leidensgeschichte seit dem Mittelalter

Die biblischen Erzählungen der vier Evangelisten Johannes, Matthäus, Lukas und Markus wurden schon im frühen Mittelalter mit einstimmigen gregorianischen Chorälen gesungen. Sie hatten ihren festen Platz in der Liturgie der Karwoche, der Woche vor dem Osterfest. Im späten Mittelalter wurden sie auch mit verteilten Sänger-Rollen vorgetragen: Jeweils ein Sänger übernahm die Worte Jesu und die des Erzählers, ein dritter war für die übrigen Personen zuständig.

15. Jahrhundert: Aufbruch in die Mehrstimmigkeit

Seit Mitte des 15. Jahrhunderts werden die Worte von Gruppen wie der Jünger, Hohepriester oder falschen Zeugen mehrstimmig von Chören gesungen. Nach der Reformation entwickelte sich daraus sogar ein eigenständiger Passions-Typus, in dem der gesamte Text mehrstimmig durchkomponiert war: Die „Motettische Passion“, wie sie unter anderem Christoph Demantius (1567-1643) mit seiner Johannes-Passion schuf.

Termin-Tipps

Chr. Demantius: Johannes-Passion | St. Lorenz Travemünde
Chr. Demantius: Johannes-Passion | St. Johannes Kücknitz

Um 1600: Die neue Form von Heinrich Schütz

Einen neuen Typus der Rezitation des Bibeltextes hat Heinrich Schütz (1585-1672) mit seinen Vertonungen der Berichte von Lukas, Matthäus und Johannes erschaffen. Hier ersetzte er die überlieferten gregorianischen Melodien durch neu komponierte. Auch in dieser neuen Form wechseln sich Solisten und Chöre mit der Erzählung ab. Freie Anfangs- und Schlusschöre rahmen die biblische Handlung.

Termin-Tipps

H. Schütz: Johannes-Passion | St. Phillippus Lübeck
H. Schütz: Johannes-Passion | Bismarck-Gedächtnis-Kirche Aumühle
H. Schütz: Matthäus-Passion (Fassung von A. Mendelssohn) | Ratzeburger Dom

17. und 18. Jahrhundert: Entfaltung im Barock

Die Komponisten des 17. Jahrhundert fügten Arien mit frei hinzugedichteten Texten oder Choräle in die Passionsgeschichte ein. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Passionsgeschichte sogar mit einem völlig neu gedichteten Text vertont, als sogenanntes Passionsoratorium. Die Besetzung war zu diesem Zeitpunkt angewachsen und konnte Chor, Gesangssolisten und ein voll besetztes Orchester beinhalten. Hier ragen im deutschen Sprachraum vor allem die Vertonungen Johann Sebastian Bachs, Carl Heinrich Grauns und Georg Philipp Telemanns heraus. Besonders bei Bachs Matthäus-Passion zeigt sich die ganze Entfaltung barocker Klangkunst. Hier musizieren bis zu drei Chöre, zwei Orchester und Solisten.

Termin-Tipps

J. S. Bach: Matthäus-Passion | St Aegidien Lübeck (28. März)
J. S. Bach: Matthäus-Passion | St. Aegidien Lübeck (29. März)
J. S. Bach: Johannes-Passion | St. Aegidien Lübeck

Die Markus-Passion von Bach ist zwar verschollen, anhand des Textes und weiterer Erkenntnisse wurde sie jedoch rekonstruiert.  
J. S. Bach: Markus-Passion (Auschnitte) u. a. | St. Markus Lübeck

Die Passion in Klassik, Romantik und Moderne

Die freie Nachdichtung blieb in der Epoche der Klassik populär. Auch Ludwig van Beethovens Passion „Christus am Ölberge“ (1803) hat einen freien Text zur Grundlage. 
Mittlerweile hatte sich als Aufführungsort der Passionsmusiken anstelle der Gottesdienste in der Karwoche der Konzertsaal etabliert. Erst am Übergang zum 20. Jahrhundert wurde der ursprüngliche Bestimmungsort wieder stärker berücksichtigt, etwa mit Vertonungen Heinrich von Herzogenbergs (1896) Hugo Distlers (1932/33) oder Arvo Pärts (1982).

Eine besondere Form: Die „Sieben letzten Worte“

Eine besondere Form der Passionsmusik ist die Vertonung der Sieben letzten Worte Jesu am Kreuz. Die Sätze werden aus allen vier Evangelien zusammengetragen, von „Vater, vergib ihnen …“ (Lk 23,34) bis zu „Es ist vollbracht.“ (Joh. 19,30). Bekannte Vertonungen stammen von Heinrich Schütz (1645), Christoph Graupner (1643), Joseph Haydn (1787), César Franck (1859), oder Théodore Dubois (1867).

Termin-Tipps

J. Haydn: Die sieben letzten Worte & G. B. Pergolesi: Stabat Mater | St. Jakobi Lübeck
Ch. Tournemire: Sept Chorals-Poèmes d´Orgue pour les sept paroles du Christ | Dom Ratzeburg

Andere bekannte Formen von Passionsmusik

Nicht nur die Leidensgeschichte wurde oft in Musik gesetzt. Aus dem Alten Testament regten die Klagelieder Jeremias oder die Beschreibung des leidenden Gottesknechts bei Jesaja zu Vertonungen an. Und auch Texte, die nicht aus der Bibel stammen, boten sich für Musik in der Passionszeit an. Allen voran das „Stabat Mater“, ein mittelalterlicher Hymnus, der eindringlich die klagende Maria unter dem Kreuz besingt. Die wohl kürzeste Form ist das „Crucifixus“. Hier werden die beiden Textzeilen des Glaubensbekenntnisses vertont, in der es um die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu geht. 

Termin-Tipps:

J. G. Rheinberger: Stabat Mater, A. Lotti: Crucifixus a 8 u.a. | Dom zu Lübeck
G. B. Pergolesi: Stabat Mater | Bodelschwingh-Kirche Lübeck