Lübeck. In vielen Senioren- und Pflegeheimen in Lübeck und im Herzogtum Lauenburg werden regelmäßig Gottesdienste gefeiert. Ein Beitrag von Pastorin Nicola Nehmzow.
Ein Gottesdienst im Pflegeheim
Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Ruth 1,16f
Es ist 10 Uhr: Gottesdienst! Die Stühle sind fast alle belegt. Andere sind beiseite geräumt, damit diejenigen, die im Rollstuhl kommen, ebenfalls Platz finden. Während einer ersten Musik geht noch einmal die Tür auf, und eine Frau betritt den Raum. Wie gut, auch sie findet einen Platz und setzt sich. Der Mann neben ihr beugt sich zu ihr, nimmt behutsam ihre Hand und haucht einen Kuss. Ein Raunen geht durch die Reihen. „Oh, la la!“ ruft die Pflegerin. Ich bekomme vor Rührung eine Gänsehaut. Eine späte Liebe im Pflegeheim?
Nach dem Gottesdienst erfahre ich, die beiden sind seit mehr als 60 Jahren verheiratet. Nun ist sie dement, und er braucht ebenfalls Unterstützung. Kurz hintereinander sind beide in die Einrichtung gezogen. Leider gab es nur zwei Zimmer auf verschiedenen Etagen. Aber immerhin: Sie sind zusammen. So oft es geht, kommt er zu ihr. Sie treffen sich zum Essen und zum Gottesdienst. Ihre Demenz macht sie hilflos. Aber ihren Mann erkennt sie. Und er reicht ihr seinen Arm, sie hakt sich ein, und beide gehen davon.
Wer wird dem anderen den Arm reichen?
Ein wenig neidisch schauen die anderen ihnen hinterher: Sie sind noch zu zweit! Und ich denke an die jungen Paare, die sich in diesen Wochen das Ja-Wort geben; manche mit diesem Bibelvers aus dem Buch Ruth: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Ob sie an eine Zukunft denken, wenn sie einmal am Ende ihres Lebens angekommen sind? Wenn die Erinnerungen brüchig, der Körper müde und das Denken schwierig wird? Was wird aus ihrer Zärtlichkeit werden, und wer wird dem anderen den Arm reichen?
Und könnte es sein, dass Gott selbst uns einmal so empfängt? Mit einem liebevollen Handkuss, mit einem Platz, der für mich frei ist. Mit einem Arm, in den ich mich einhaken kann, um noch einmal jung und leicht ein neues Leben zu beginnen.
Der Beitrag stammt aus dem Gemeindebrief der Kirchengemeinde Marli-Brandenbaum. Zur digitalen Ausgabe gelangen Sie hier.