Pröpstin Petra Kallies Weltgebetstag aus Simbabwe

Pröpstin Petra Kallies. Copyright: Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg

Simbabwe also. Ich gebe zu, ich hatte nur eine Ahnung, wo das liegt: irgendwo im südlichen Afrika. Mehr wusste ich nicht. Simbabwe ist ein Binnenland im Süden von Afrika – laut Wikipedia bekannt für seine beeindruckende Landschaft und vielfältige Fauna in Parks, Reservaten und Safarigebieten. Am Sambesi-Fluss donnern die Victoria-Fälle über 108 Meter hinab. Flussabwärts liegen die Nationalparks, wo Flusspferde, Nashörner und viele verschiedene Vogelarten leben. Die Völker haben eine reiche kunsthandwerkliche Tradition. Hauptstadt ist Harare. 1980 wurde Simbabwe unabhängig von Großbritannien.

Viele Missstände in Simbabwe

Das klingt wunderschön, doch Simbabwe kein sicheres Reiseland. Nach der Unabhängigkeit regierte der Diktator Robert Mugabe 38 Jahre lang. 2017 wurde er vom Militär abgesetzt, aber unter seinem Nachfolger wurde die wirtschaftliche Lage noch schlimmer. Ständige Steuererhöhungen, Misswirtschaft und Korruption bedrücken das Volk schwer. Nach Schätzungen der WHO können ca. 60 Prozent der 14 Millionen Einwohner die stetig steigenden Lebensmittel- und Energiepreise nicht bezahlen. Demonstrationen und zum Teil auch gewaltsame Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung.

Eine Bevölkerung, mit Füßen getreten

Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Die öffentliche Trinkwasserversorgung wurde 2018 eingestellt. Ausländer dürfen sich ohne staatliche Erlaubnis nicht frei im Land bewegen. Schon Handyschnappschüsse können Touristen als illegale journalistische Tätigkeit ausgelegt werden. Und als wäre das nicht alles schon schlimm genug: im November 2019 richtete der Zyklon Idai immense Schäden an. Hinzu kommen lange Dürrephasen. Wenn man hinreisen würde: die Viktoria-Fälle sind nicht zu sehen. Der Sambesi führt aufgrund des Klimawandels nur noch knapp ein Drittel seiner normalen Wassermenge. Ein ganzes Land liegt am Boden. Eine Bevölkerung, mit Füßen getreten. Die am meisten Leidenden sind, wie immer, Frauen und Kinder. Simbabwe gehört weltweit zu den Ländern, in denen es um Frauenrechte am schlechtesten bestimmt ist.

So sieht es aus. Die christlichen Frauen aus Simbabwe haben für den diesjährigen Weltgebetstag einen Text aus dem Johannes-Evangelium ausgesucht, den ich auch heute gerne in den Mittelpunkt unseres Gottesdienstes stellen möchte. Wir hören ihn nach dem nächsten Lied.

 

Predigt zu Johannes 5, 1-9

Liebe Gemeinde!

Wir fangen einfach mal beim Bibeltext an:

Der Teich Bethesda ist der Ort im neuen Testament, von dem man genau weiß, wo er liegt.

In alter Zeit war es eine Regenwasserzisterne, die den Tempel versorgte. Zur Zeit Jesu war es eine jüdische Badeanlage. Unter dem römischen Kaiser Hadrian wurde diese Anlage im Jahr 135 zu einem Asklepios- Heiligtum geweiht; dem griechisch-römischen Gott der Heilkunst.

Im fünften Jahrhundert wurde dort eine große Kirche errichtet, als das Christentum Staatsreligion wurde. Sie geriet in Vergessenheit, wurde zerstört. In den 1130-Jahren errichteten Kreuzfahrer die Kirche St. Anna über ihr. Als Ende des 19. Jahrhunderts dort Renovierungsarbeiten an der Krypta notwendig wurden, entdeckte man ältere Gebäude und hat dann weiter geforscht. 

Ein Engel kam und bewegte das Wasser

1888 und 1931 entdeckte man die Bäderanlage und eben auch die Inschriften, die auf das Asklepios-Heiligtum hinweisen. Das ist deswegen so spannend, denn in den biblischen Text wird ja erzählt, dass von Zeit zu Zeit ein Engel kam und das Wasser bewegte, und dass der- oder diejenige, die zuerst im Wasser ist, geheilt würde. Diese Geschichte war offensichtlich zu römischer Zeit allgemein bekannt; deswegen lag es nahe, dort den Gott der Heilkunst zu verehren.

Diese Heilungsgeschichte steht im Johannes Evangelium. Dazu müssen wir wissen, dass bei Johannes Heilungsgeschichten nie einfach nur so für sich stehen. Sie haben neben der wörtlichen Bedeutung IMMER auch eine theologische, symbolische oder auch psychologische Bedeutung. Johannes berichtet, dass am Teich Bethesda Jesus einem Kranken begegnet. Die Art des Leidens erfahren wir nicht. Der Mann wird in der Begegnung mit Jesus gesund.

Der Teich Bethesda ist nur auf den ersten Blick ein Ort des Heils. Bei genauerer Betrachtung erweist er sich als ein Ort des Kampfes. Ein Ort des Zufalls. Ein Ort des Gegeneinanders. Nur wer am allerschnellsten ist, wer die Ellenbogen einsetzt, oder wer Unterstützer mit viel Zeit hat, hat überhaupt eine Chance darauf, hier gesund zu werden. Ein Ort, an dem jeder gegen jeden kämpft. Ein Ort des Wettlaufes mit der Zeit.

Jesus kommt zu diesem Teich. Und anders als sonst in Wunder Geschichten, wo Menschen Jesus rufen und um Hilfe bitten, ist es hier Jesus, der auf den Mann zu geht und er sagt: „Willst du geheilt werden?“ Und der Mann sagt nicht etwa: „Ja, das möchte ich so gerne!“ Sondern der Mensch fängt an zu klagen; er klagt Jesus sein Leid: Seit 38 Jahren krank. Seit langem täglich an diesem Ort, - und niemand ist da, der ihm hilft, der ihn unterstützt.  Ein einsamer Mensch. Diesen sagt Jesus: „Nimm deine Matte und geh!“  Und der Mensch steht auf und geht.

Es ist ein Wunder.

Wenn man diesen Text symbolisch verstehen möchte, was das Wunder einer körperlichen Heilung nicht ausschließt, sondern eher eine weitere Verstehensmöglichkeit ist, kann man auch sagen: Jesus fordert den Mann auf, etwas zu tun, wozu dieser vielleicht noch nie den Mut hatte. Vielleicht geht es bei der Heilung nicht ausschließlich um die Erlösung von einem körperlichen Leiden. Vielleicht geht es viel stärker darum, dass Jesus ihn heilt von der ständigen Angst, dass er ohne die Unterstützung anderer keine eigenen Schritte im Leben gehen kann.  Jesus ermutigt ihn zur Selbstständigkeit. Er hilft ihm nicht hoch. Er sagt: „Steh auf!“ Jesus traut ihm was zu.

Dieser Mann braucht kein Engel, der das Wasser bewegt, er braucht kein mystisches, kein geheimnisvolles Wunder – er braucht einen Engel aus Fleisch und Blut, der ihm Mut zuspricht, der ihm begegnet, der ihn anschaut. Und der ihm was zutraut! Welch ein Glaube der Frauen aus Simbabwe, und welche Sehnsucht, dass sie diesen Text ausgesucht haben und ihn in die Mitte des Gottesdienstes gestellt haben! Frauen, deren Rechte massiv mit Füßen getreten werden. Frauen die körperlicher und sexueller Gewalt tagtäglich ausgeliefert sind. Frauen, die sich noch viel schlechter gegenüber jegliche Form von Willkür wehren können.

Sie erleben sich und ihr Land wie am Boden liegend, seit über 38 Jahren schon. Manchmal, da gibt es so kleine Lichtblicke, und sie hofften, dass es besser würde -  zum Beispiel als Diktator Mugabe endlich entmachtet wurde. Stattdessen wurde es noch viel schlimmer. Die Engel aus Fleisch und Blut, auf die sie hoffen, die kommen nicht. Und wenn sich etwas bewegt, dann sind sie und ihre Kinder immer diejenigen, die es niemals rechtzeitig schaffen…

Das ist „Evangelium“ liebe Gemeinde, wenn es Dir so geht, und dann begegnet Dir jemand, der Dir Mut zu spricht und der Dir sagt: „Steh auf und geh aufrecht! Ich übersehe dich nicht! Ich trete Dich nicht mit Füßen und ich steig auch nicht über dich hinweg -  sondern ich bleib stehen und frag nach, was du brauchst!“

Wenn Menschen nach so einer Begegnung aufstehen, dass ist Evangelium. Eine wirklich gute Botschaft. Umso mehr, wenn sie diese Kraft und diesen Mut im Glauben an Gott und an Jesus Christus erfahren. Wie mutig von den Christinnen in Simbabwe, dass sie so einen Text ausgesucht haben – denn es ist Glauben gegen die Macht der Fakten. Doch nur dann, wenn wir noch daran glauben, dass sich die Welt zum Besseren ändern kann, wird sie es auch tun. Wer resigniert, hat schon verloren.

Das Evangelium spricht uns allen Mut zu:

Mut aufzustehen.         

Mut, sich nicht damit abzufinden, dass die Dinge nun mal sind wie sie sind.             

Mut, einander freundlich im Blick zu haben und für einander da zu sein.                   

Und vielleicht auch, den Mut zu haben, um Hilfe zu bitten.

Ein Letztes: Der Teich Bethesda erscheint auf den ersten Blick ein Ort des Heils zu sein. Angeblich bewege von Zeit zu Zeit ein Engel das Wasser und wer als erster hineinspringe, habe gewonnen. Werde geheilt. Zufallsprinzip. Konkurrenzkampf um göttlichen Segen. Das kann ich nicht glauben. Und so will ich nicht glauben!

Auch, wenn es oft den Anschein hat.

Uns geht es gut. Wir leben in Sicherheit. Niemand verhungert, es gibt medizinische Versorgung, Bildung, das Recht auf freie Meinungsäußerung, freie Wahlen und freie Religionsausübung. Wir haben es gut – sind in Mitteleuropa geboren. Dafür haben wir selbst nichts getan. Gerecht ist das nicht. Dass seit Monaten schon auf den griechischen Inseln Flüchtlingskinder und –familien unter menschenunwürdigsten Bedingungen leben, ist nicht hinnehmbar. (Es ist auch nicht in Ordnung, dass geflüchtete Männer so leben müssen. Als Spielball und Druckmittel in politischen Machtkämpfen missbraucht. Aber für die Kinder ist es besonders schlimm.)

Es geht uns etwas an!

Es geht uns etwas an, was an den Außengrenzen Europas geschieht. Und die seit Jahren überforderten Griechen, Bulgaren und Italiener gehen uns auch etwas an. Von Verantwortung kann man sich nicht freikaufen. Von Nächstenliebe auch nicht. Schon gar nicht von Nächstenliebe. Am anderen Ende der Welt haben Frauen Glaubensmut aus dem Evangelium geschöpft und sie teilen das mit uns: „Steh auf und geh!“

Dazu helfe uns Gott! Amen.