Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Was bedeutet die Jahreslosung 2021?

Pröpstin Frauke Eiben (Archiv) Copyright: Agentur 54

Mit der Jahreslosung aus dem Lukasevangelium geht die Kirche in ein neues Jahr

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“: Die Jahreslosung 2021 steht im Lukasevangelium, Kapitel 6, Vers 36. Dieser Ausspruch Jesu steht über dem kommenden Jahr. Über das Wort „Barmherzigkeit“, das arme Herz und den Wunsch nach Perfektion schreibt Pröpstin Frauke Eiben in ihrem Wort zur Jahreslosung.

Barmherzigkeit – ein altertümliches Wort

Barmherzigkeit kommt in unserer Alltagssprache nicht mehr so häufig vor. Es ist ein bisschen altmodisch geworden. Und wenn es benutzt wird, wird es oft mit Mitleid verwechselt. Aber das ist zu kurz gedacht.

Mit der Jahreslosung ist uns dieses etwas altertümliche Wort nun neu ins Ohr gesetzt, und das ist gut. Denn in ihm verbirgt sich eine Haltung, die immer noch dem Leben dient.

Ein armes Herz haben

Schauen wir ins Lexikon, dann kommt unser Wort „Barmherzigkeit“ vom althochdeutschen „bi-armen“ und lehnt sich damit an das lateinische „Misericordia“ an. Das bedeutet: Ein armes Herz haben, eines das Erbarmen hat. Der Bischof Bernhard von Clairvaux hat die Vermutung geäußert, Gott sei vielleicht deshalb Mensch geworden, damit er tatsächlich barmherzig sein könnte. Ein Gott im Himmel hätte nie persönlich ein miserium cor, ein armes Herz haben können. Darum sei er in Jesus arm-herzig geworden. Und wo zwei arm-herzige Menschen sich treffen, entsteht ein bi-armen - die Barmherzigkeit. Das gefällt mir.

Barmherzigkeit schenkt Geborgenheit

Das hebräische Wort für „Barmherzigkeit“ heißt „Rachamim“ und bedeutet „Gebärmutter“ oder „Mutterschoß“. Das bedeutet, ein barmherziger Mensch ist gütig und schenkt Geborgenheit: Eine Geborgenheit, in der Leben gedeihen kann, eine Geborgenheit, bei der keine Angst besteht, und in der ein Mensch sich entfalten kann. In diesem hebräischen Wort „Rachamim“ steckt auch die Wortwurzel „Racham“ und die bedeutet „warm“.

Ein sprechendes Wort

Wenn also im Hebräischen von der Barmherzigkeit Gottes die Rede ist, dann ist von der warmen und lebensspendenden Mütterlichkeit Gottes die Rede, die Geborgenheit und Wärme spendet.

Das Hebräische ist wirklich eine bildreiche Sprache, da steckt der Verstand im Herzen, die Seele in der Kehle und die Barmherzigkeit im Mutterschoß.

Was für ein wunderbar sprechendes Wort: BARMHERZIGKEIT!

„Sei barmherzig“ als Gedankenanstoß

Beim sorgenvollen Blick auf das kommende Jahr, tritt Jesus an unsere Seite und ruft es uns zu: „Sei barmherzig!“

Ich höre diesen Ruf nicht als einen Appell, sondern zuerst als einen Gedankenanstoß, über die eigene Lebenshaltung nachzudenken.

Ich höre eine Ermutigung, die lautet: „Sei barmherzig mit dir, und sei barmherzig mit anderen. Du kannst es, weil Gott schon immer barmherzig mit dir ist.“

Erlaube dir, nicht perfekt zu sein

„Sei barmherzig mit dir“, das bedeutet: „Erlaube dir, nicht perfekt zu sein. Denn das ist keiner. Erlaube dir, dein eigenes Leben mit Liebe und Wärme anzuschauen, und nicht als erstes die Defizite zu betonen.“ Das können wir Deutschen ja besonders gut.

Sei barmherzig mit dir, wenn deine Gefühle Berg- und Talbahn fahren. Niemand kann immer strahlen. Sorge für dich, damit dein Herz nicht kalt und deine Stirn nicht voller Sorgenfalten bleibt.

Tröstungen des Heiligen Geistes

Und vielleicht sind es die alten Tröstungen des Heiligen Geistes, die Thomas von Aquin einmal aufgeschrieben hat, die unserem armen Herzen aufhelfen: „Beten, weinen, erkennen, ein Gespräch, schlafen, baden und Freude.“ Eine wunderbare Zusammenstellung, und aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass alles mir schon einmal gut getan hat.

Sei barmherzig mit anderen

Sei barmherzig mit anderen. Das meint: Erkenne ihr armes Herz. Sei nicht von oben herab sondern einfühlsam, und versuche zu verstehen, wo es genau an Geborgenheit und Wärme fehlt, wo die Not ist.

Hab nicht gleich eine Abwertung oder eine Ausrede parat, warum es jetzt nicht so günstig ist, barmherzig zu sein. Unser Misstrauen kann uns hart und zynisch machen, wenn wir etwa denken: „Ist jemand wirklich bedürftig? Kommt eine Spende auch sicher an? Diese oder jene Not scheint doch selbst verschuldet. Mir würde das nicht passieren!“

„Versuch es doch einmal anders“

Was auch immer uns hindert, von Herz zu Herz einem Menschen zu begegnen, der unsere Wärme und Geborgenheit braucht, sei es Bequemlichkeit oder Überforderung: „Versuche es doch einmal anders“, ruft Jesus uns zu. „Es wird dir selbst gut tun und dein Herz erwärmen.“

Und ganz intuitiv tun das viele Menschen. Leute, die sich bei der Tafel engagieren, die sich im Bereich Flucht und Asyl oder für die Rettung von Leben im Mittelmeer einsetzen, die in der Telefonseelsorge und an vielen anderen Orten mithelfen - oder auch mit ihrer Spende bei Brot für die Welt dafür sorgen, dass die Barmherzigkeit auch in anderen Ländern der Erde ein Gesicht bekommt.

Sei barmherzig mit dir und mit anderen.

Barmherzigkeit mit unserer altgewordenen Mutter Kirche

Sei barmherzig auch mit unserer altgewordenen Mutter Kirche. Zu allen Zeiten gab es Veränderungen, Aufbrüche, Irrwege, Umwege und Treue. Auch heute stecken wir mitten in einer großen Veränderung und sind mitunter ungeduldig, dass alles so lange dauert. Dass Dinge sich verändern, dass manches nicht mehr ist, wie immer – gar nicht so leicht auszuhalten.

Das wäre schön, wenn wir barmherzig auf unsere Wünsche und Nöte schauen und zuversichtlich nach vorne blicken.

Doppelgebot der Barmherzigkeit

Seid barmherzig. Dieser Ruf Jesu gründet im Doppelgebot der Barmherzigkeit: Weil Gott uns barmherzig ansieht, können wir barmherzig mit anderen und mit uns selbst sein. Ein heilsamer Kreislauf für ein neues Jahr.

Ich wünsche es uns, dass wir uns in den kommenden Tagen und Wochen daran erinnern lassen und so guten Mutes in das neue Jahr gehen.